Mikroben-Zwillinge bevölkern einträchtig Kuhmägen
Natürliche Vorbilder: Im Vormagen (Pansen) von Kühen entwickelten sich wohl seit der Haustierwerdung zwei kleine Zwillings-Arten an Mikroben. Sie teilen sich bis heute den Lebensraum an den Pansenschleimhäuten, ohne zu konkurrieren, weil sie von unterschiedlichen, sehr nährreichen Fettsäuren leben.
Davon berichten Wiener Forscher im Fachjournal Nature Microbiology. Genaue Kenntnisse der Pansenflora könnten helfen, die klimaschädlichen Auswirkungen der intensiven Wiederkäuerhaltung zu verringern.
Ein Team um Evelyne Selberherr von der Abteilung für Lebensmittelbiologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchte bei sieben Kühen die Zusammensetzung und Lebensweise der Mikroorganismen an den Pansenwänden. Die Forscher sequenzierten das Erbgut (Genom) der Bewohner und ermittelte, welche Stoffwechselaktivitäten und ökologischen Möglichkeiten sie aufgrund ihrer genetischen Ausstattung haben.
Fast wie Zwillinge
"Eine Gruppe von Mikroben stellte sich dabei als besonders häufig und aktiv heraus, nämlich zuvor unkultivierbare Campylobacter-Bakterien", so die Forscher.
Insbesondere fielen den Forschern zwei Campylobacter-Populationen auf, die einander ähneln wie Zwillinge. Weil sie sehr eng miteinander verwandt sind, konnten sie nur durch "eine sehr genaue Analyse ihrer Genome" unterschieden werden, erklärte Selberherr der APA: "Herkömmliche Analyseverfahren gruppierten die beiden Campylobacter-Populationen zusammen."
Die Forscher tauften die beiden Geschwister-Völklein "Campylobacter stinkeris" und "Campylobacter noahi". "C. stinkeris" gedeiht außerordentlich gut, wenn er die Fettsäure Acetat als "Futter" bekommt. "Acetat ist besonders wichtig für die Milchfettproduktion der Kuh", so Selberherr. Die zweitwichtigste kurzkettige Fettsäure im Kuhvormagen namens "Propionat" hemmt "C. stinkeris" jedoch. Seinem Geschwisterchen "C. noahi" ist es jedoch einerlei, ob er Acetat oder Propionat vorgesetzt bekommt, er lebt von beiden passabel.
Ausgleichende Wirkung
"Wenn eine der Campylobacter Populationen nur den Vorteil hätte, Acetat zu verwenden und der andere nicht, würde der Acetat-verwertende Campylobacter den Nicht-Verwerter schnell durch Konkurrenz beseitigen", erklärte Selberherr: "Aber der Nicht-Verwerter ist besser darin, den negativen Wirkungen von Propionat zu widerstehen, welches für Campylobacter toxisch sein kann". Dieser "trade-off" (Ausgleich) unterstütze die Koexistenz, also das Nebeneinanderbestehen der Mikrobenzwillinge.
Die Forscher konnten nachvollziehen, dass sich die beiden Campylobacter-Populationen aus einem gemeinsamen Vorfahren entwickelt haben. Der Anlass, getrennte Wege bezüglich ihrer Ernährung zu gehen, war vermutlich die "agrokulturelle Revolution", als die Menschen die Rinder zu ihren Haustieren machten (domestizierten).
Damals änderte sich nämlich für die Wiederkäuer die Futterzusammensetzung, weil sie etwa auf zuckerreiche Weiden geführt oder mit Getreiden ernährt wurden. Diese Entwicklung könnte im Zuge der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft bis heute andauern.
Angewandter Klimaschutz
Da sie mit den zwei wichtigsten Fettsäuren im Rinderpansen Stoffwechsel betreiben, haben die beiden Campylobacter Populationen "Schlüsselfunktionen" im Kuhpansen, so die Wiener Forscher. Mit einem "fundierten Verständnis der Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaft im Pansen könne man diese eventuell optimieren.
Dadurch würden die Wiederkäuer ihr Futter effizienter verwerten und die Rinderhaltung wäre weniger belastend für das Klima und die Umwelt.