Frankl-Kongress: "Wir stecken in einer seelisch-geistigen Armutskrise"
Von Uwe Mauch
Was tun gegen das zunehmend um sich greifende, vor allem auch Generationen übergreifende Gefühl der Verunsicherung, der Resignation und des Werteverlusts? Darüber diskutieren am Wochenende beim 3. Viktor Frankl Weltkongress in Wien 450 Forscher aus 35 Ländern. Univ.-Prof. Dr. Alexander Batthyany, Vorstand des Viktor Frankl Instituts und Organisator der Tagung, berichtet im Gespräch mit dem KURIER, dass Psychiater und Psychologen weltweit ein Ausmaß an Entmutigung, Verzweiflung und unbestimmter Wut in der Bevölkerung beobachten wie es zuletzt im Zuge der großen Krisen und Einbrüche des 20. Jahrhunderts beschrieben wurde.
Herr Professor Batthyany, ist es tatsächlich so schlimm?
Alexander Batthyany: Ja, das ist ein Studien übergreifender Befund. Es handelt sich um eine oft stumme Entmutigung, die sich wie ein trüber Unterton in den Alltag einschleicht und den Betroffenen die Fähigkeit oder Bereitschaft nimmt, aktiv und lebendig am Leben teilzunehmen. Sie können sich nicht von den vielen kleinen und großen Sinnmöglichkeiten des Alltags ansprechen lassen.
Die psychologischen und damit auch volkswirtschaftlichen Kosten dieser Entwicklung sind enorm. Zahlreiche Forschungsarbeiten bestätigen heute, was Viktor Frankl schon am Anfang des vergangenen Jahrhunderts vermutet hat: Sinn- und Wertkrisen haben nicht nur soziale, sondern auch gesundheitliche Auswirkungen. Sie machen anfällig für psychische Krankheiten, für ungesunde Lebensentwürfe. Menschen, die nicht wissen, dass und wofür sie gebraucht werden, sind gefährdet. Es ist ja auch wenig da, für das es sich lohnt, heil zu bleiben.
Wie können die Betroffenen diesem Teufelskreis konkret entgehen?
Fangen wir bei der Diagnose an: Wir stecken in einer seelisch-geistigen Armutskrise, sozusagen in einem psychischen Existenzminimum. Die vielleicht überraschende Perspektive der Logotherapie dazu ist: Seelisch arm werden wir weniger durch das, was wir nicht bekommen, als durch das, was wir nicht aussenden und geben, obwohl wir es könnten und sogar eigentlich wollen.
Und was passiert, wenn wir es tun?
Dann merken wir mit einem Mal: Mein Leben ist ja viel mehr als nur erwarten, verteidigen und überleben: Es bedeutet teilnehmen, teilen, Verantwortung tragen, Sinn suchen und erfüllen – im Kleinen wie im Großen. Das kann jeder. Jeder von uns kann ein freundliches, gutes Signal in die Welt setzen. Das verlangt uns nicht viel ab. Solche kleinen Dinge kosten uns nichts und – paradoxerweise – bereichern sie uns und die Welt gleichermaßen. Und zwar genau in dem Maße, in dem wir sie zu geben bereit sind.
Wo sehen Sie das brennendste Problem im Heimatland von Viktor Frankl?
Da gibt es eine interessante aktuelle Entwicklung: Wo wir noch vor wenigen Jahren ein Lebensgefühl der Resignation sahen, finden wir heute zusätzlich ein erstaunlich hohes Maß an Unmut, Unzufriedenheit und diffuser Ablehnung. Das sind alarmierende Zeichen – zumal, wenn sie so weitflächig in beinahe allen Gesellschaftsschichten, vor allem aber auch unter jungen Menschen auftreten. Das müssen wir ernst nehmen, denn hier geht es nicht mehr nur um die psychische Gesundheit des Einzelnen, sondern auch um das gesellschaftliche Klima im Allgemeinen.
Woher kommt diese Resignation?
Schon Frankl sagte: Sowohl Resignation als auch Aggression hängen eng mit Verunsicherung und Sinndefizit zusammen. Sie sind Anzeichen einer tiefen Verunsicherung, eines wirklichen oder anscheinenden Werteverlusts der Gegenwart. In der Resignation etwa zieht sich der Mensch in die Unverbindlichkeit zurück – alles scheint ihm gleichgültig, nichts spricht ihn an. Alles ist provisorisch, beiläufig. Die Folge ist eine tiefe innere Leere und Unzufriedenheit. Frankl bezeichnete dieses Lebensgefühl als existentielles Vakuum – ein nagendes Gefühl der Entmutigung und Sinnlosigkeit. Und Frankl mahnte schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts: In diese innere Leere wuchern schnell negative psychische und soziale Entwicklungen.
Der Rechtsruck in Europa oder auch das Phänomen Trump – lassen sie sich darauf zurückführen?
Ja, Psychologen stellen heute tatsächlich vermehrt eine in diesem Ausmaß neue soziale und psychologische Bewegung fest. Wut und Ablehnung als Lebenshaltung. Die Forschung zeigt: Davon versprechen sich Menschen eine Überwindung der eigenen Gleichgültigkeit. Und die Rechnung geht kurzfristig sogar auf: Sie fühlen sich vielleicht wieder stärker, wenn sie ihre Kräfte gegen etwas einsetzen. Es ist daher auch oft ziemlich beliebig, gegen was sich die Ablehnung richtet.
Erweist man sich damit einen Dienst?
Wenn man sich dazu verführen lässt, Ablehnung und Abschottung zum Prinzip zu machen, ganz sicher nicht. Rechtspopulisten leben von Protest, von Ablehnung, Verdächtigung. sprich: sie überbelichten alles, was man nicht will und zur Not erfinden sie es dazu. Sie füttern quasi den Appetit, statt den Hunger zu stillen. Brauchbare Lösungen bieten sie selten an; sie leben ja von der Ablehnung als Leitmotiv. Das verspricht zudem auf einfachstem Wege zumindest ein Gefühl von Gewissheit und Motiviertheit. Eben jene Motiviertheit, die man unter gesünderen und konstruktiveren Umständen dadurch bekommt, dass man sich von sich aus für etwas oder jemanden engagiert und positive Verantwortung übernimmt. Dann wäre man aber auch weniger leicht verführbar.
Was sagt dazu die Forschung?
Sie hat eine klare Botschaft: Unzufriedenen Menschen geht es nicht besser, wenn sich zum Frust auch noch Aggression gesellt. Sie fühlen sich kurzfristig höchstens ein bisschen stärker, wenn sie einen Sündenbock gefunden haben. Ihren Opfern geht es bekanntlich auch nicht besser – und die Populisten, die diese Mechanismen bedienen, werden sich auch irgendwann einmal fragen oder fragen lassen, was denn ihr konstruktiver Beitrag für das gesellschaftliche Klima gewesen ist. Kurz gesagt: Aus etwas Negativem ist noch nie etwas Gutes erwachsen – es gibt keine Gewinner, wenn wir unser Leben, Denken, Handeln und Entscheiden von Resignation, Ablehnung, Hass und Engstirnigkeit lenken lassen. Insofern gehen gesellschaftliche und psychologische Verantwortung Hand in Hand, man kann das nicht trennen.
Wie kann etwas Gutes erwachsen?
Wenn wir Menschen ermutigen und darin bestärken, dass sie sich wieder auf ihr eigenes Gewissen, ihr ureigenes Verantwortungsgefühl rückbesinnen.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Gib dem Leben wieder einen Sinn: Kann das auch in der Medizin helfen?
Ja, diese Wirkung zeigt sich sogar an biologischen Markern: so werden etwa japanische Krebsforscher beim Kongress von einer groß angelegten Studie berichten, der zufolge sich die Immunwerte im Rahmen einer sinnorientierten Beratung stark und nachhaltig verbessern. Andere Studien zeigen einen signifikanten Rückgang von depressiven Erkrankungen in Folge von logotherapeutischen Gemeinschaftsprogrammen. Wieder andere Arbeiten belegen eine Entspannung sozialer Konflikte, bzw. eine gesteigerte konstruktive Konfliktfähigkeit im Zuge sinnorientierter Intervention.
Hatte Viktor Frankl recht?
Alle Studien zeigen im Grunde eines: Das, was Viktor Frankl dem verunsicherten Menschen des vergangenen Jahrhunderts zu sagen hatte, ist nicht nur aktuell – es ist sogar aktueller denn je. Und es ist wirksam.
Der 3. Viktor Frankl Weltkongress findet ab heute, Donnerstag, auf dem Campus der Universität Wien statt. Während der dreitägigen Fachtagung diskutieren 450 Wissenschaftler die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Lebenshaltung, Sinngefühl, gesellschaftlicher Entwicklung und seelischer Gesundheit. Das Grundthema: "Die Bedeutung des Sinnbewusstsein für Leben, Gesundheit und Gesellschaft“ zieht sich, ganz im Sinne des Lebenswerks von Viktor Frankl wie ein roter Faden durch das Programm.
Veranstaltungsort: Hörsaalzentrum auf dem Campus der Universität Wien, 1090 Wien, Spitalgasse 2.
Mehr Infos unter: www.viktorfrankl.info
Viktor Emil Frankl, der Begründer der Logotherapie, wurde 1905 in Wien-Leopoldstadt als zweites Kind von Gabriel und Elsa Frankl geboren. Der Vater war Parlamentsstenograf. Die Mutter stammte aus einer Prager Patrizierfamilie, die auf den berühmten Rabbi Löw zurückgeht. Viktor studierte Medizin und Philosophie.
VerlustNach Kriegsausbruch ließ der junge Arzt ein Visum verfallen, um seine Eltern nicht allein lassen zu müssen. 1942 kamen die ganze Familie – seine erste Frau Tilly, die Eltern, der Bruder und er selbst – in Konzentrationslager. Nach dem Krieg erfuhr Frankl, dass er als Einziger (außer seiner nach Australien emigrierten
Schwester Stella) überlebt hatte.
1946 lernte er die Zahnärztliche Assistentin Eleonore Schwindt kennen. Es war der Wendepunkt in seinem Leben. Die beiden heirateten, haben eine Tochter, zwei Enkelkinder und drei Urenkel. Frankl starb 1997.
BuchSein Werk "Trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager" wurde in 22 Sprachen übersetzt.