Krebstag: Die gute Seele vom St. Anna Kinderspital
Von Uwe Mauch
Wenn ein Kind, das dem Tod schon sehr nah ist, dank einer Transplantation weiterleben kann. Wenn dieses Kind am Ende eines gemeinsamen Kampfes aus dem St. Anna Kinderspital entlassen werden kann, mit der Chance, wieder gesund zu werden. Dann ist das schön. Wunderschön, wenn auch selten ist es, wenn ihre Patienten später Eltern von gesunden Kindern werden. Erzählt die Wiener Fachärztin Christina Peters, die seit dem Jahr 1980 im "Sankt Anna" arbeitet, davon 33 Jahre als Leiterin der Station 1A.
Eine vertraute Stimme
Es ist Abend und auf der Station kehrt langsam Ruhe ein. Hier wird noch ein Protokoll vom Tag geschrieben, dort eine kurz bevorstehende Transplantation im Detail besprochen. Einige Kinder schlafen bereits.
Zeit zum Reden. Peters kennt natürlich auch die andere Seite des Lebens: "Wenn wir erkennen müssen, dass es Zeit ist, um gemeinsam Abschied zu nehmen." Weil die Transplantation von gespendeten Blutstammzellen oder Knochenmark nicht mehr helfen konnte. Weil die Energien des Kindes endgültig zur Neige gehen. Weil die Ausbreitung der zerstörerischen Krebszellen nicht mehr gestoppt werden kann.
"Tränen gehören dazu"
Dann bleiben Emotionen nicht aus. "Tränen gehören dazu", sagt die erfahrene Onkologin mit ruhiger Stimme. "Für uns ist es wichtig, dass wir uns auf jedes einzelne Kind einlassen. Nur so können wir echtes Vertrauen aufbauen." Die Folgen dieser bedingungslosen Kommunikation kennt sie aus eigener Erfahrung: "Wer sich einlässt, verliert einen Schutzschirm."
Meist sind es dann noch ein paar Tage bis zum Tod. Eltern und Geschwister werden eingeladen, um beim Abschied, beim schmerzlichen Loslösungsprozess im Spital dabei zu sein. Christina Peters bittet die Angehörigen immer, ihrem Kind folgende Botschaften mit auf den Weg zu geben:
"Du darfst gehen."
"Dein Leben war schön."
"Niemand ist schuld."
"Wir werden dich ganz sicher nicht vergessen."
Der letzte Satz ist besonders wichtig, weiß die Ärztin – und zwar für Menschen aller Glaubensbekenntnisse. "Kein Kind möchte, dass seine Familie mit Hass, Wut und Aggression weiterleben muss." Was von den meisten Kindern gut angenommen wird: "Wenn man schöne Geschichten erzählt. Eine ruhige, vertraute Stimme ist beim Abschiednehmen ebenso wichtig wie die Körperwärme."
Wenn es gewünscht wird, steht das Team der Ärzte, Pfleger und Therapeuten zur Seite. Es gibt aber auch Familien, die am Ende lieber unter sich bleiben möchten. "Das ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Ziel ist in jedem Fall, dass die Familie den Abschiedsprozess als wichtige Erinnerung behalten kann."
Heulend aus dem Spital
Und was hat das Leben mit Krebs, die tägliche Konfrontation mit lebensbedrohlichen Krankheiten aus ihr gemacht? "Am Anfang bin ich nicht ein Mal heulend aus dem Spital gelaufen."
Die Ärztin erinnert sich: "Ich musste lernen, dass es mein Mann und meine Kinder nicht verdient haben, wenn ich mit all meinen Sorgen zu ihnen nach Hause komme." Doch die Gratwanderung zwischen Empathie und Burn-out habe sie nicht im Medizinstudium gelernt. Gelingen kann sie, weiß sie heute, nur in einem gut eingespielten Team. "Es haben sich hier im Laufe der Jahre zahlreiche Freundschaften ergeben."
Überlebenschance
Heute ist auch die Überlebenschance der Kinder deutlich höher. Und sie wird dank internationaler Studien, an denen ihr Spital federführend beteiligt ist, noch weiter steigen.
Nach wie vor viel Energie kostet sie das Wechselbad der Gefühle: "Wenn du zu einem Kind sagen kannst, super, du hast es geschafft! Und dann gehst du ins nächste Zimmer und musst dort genau das Gegenteil verkünden. Dabei ist immer abzuwägen, wie viel du preisgeben kannst, ohne zu lügen. Denn anlügen darf man die Kinder nicht. Die wissen genau, wie’s um sie steht, wenn du bei der Tür reinkommst."
Schwierig sei auch die Zeit des Bangens. Die entscheidende Frage lautet: Wird das neue Immunsystem seine Funktion erfüllen können? Peters: "Wir versuchen schneller zu sein als die Komplikationen. Was aber nicht immer gelingt."
Wer sie kränken darf
Womit wir auf der Haben-Seite angelangt sind: "Ich habe heute keine Angst vor dem Tod. Sterben ist nicht das Schlimmste im Leben. Ungebügelte Wäsche zu Hause oder ein Kratzer im Lack des Autos können mich nicht aufregen. Irgendwann habe ich beschlossen, dass ich mich täglich ärgern darf. Kränken können und dürfen mich hingegen nur Menschen, die ich liebe."
Und dann gibt es noch etwas, was die Ärztin sichtlich freut: Dass nur sehr wenige Familien im Unfrieden vom " Sankt Anna" weggehen. Christina Peters sagt: "Öfters kommen Angehörige, die soeben ein Kind verloren haben, und teilen ihre Trauer mit uns. Das ist dann ein Geschenk für das gesamte Team."
Die gute Nachricht ...
Die Chance, dass Kinder, die an Krebs erkranken, im Wiener St. Anna Kinderspital geheilt werden können, ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Mithilfe einer intensiven Chemotherapie können inzwischen sogar 85 Prozent der kleinen Patienten geheilt werden.
... und die Hoffnung
Eine neue internationale Studie, die vom „Sankt Anna“ ausgeht und der sich Ärzte aus zahlreichen renommierten Krankenhäusern angeschlossen haben, soll die Überlebenschancen für Kinder nach Transplantationen weiter erhöhen.
Mehr zum Thema unter: kinderkrebsforschung.at