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Viele Kassen, verschiedene Leistungen

Hier verlieren selbst Experten den Überblick. "Es ist eine seltsame Situation in Österreich", sagt Patientenanwalt Gerald Bachinger: "Wir zahlen alle nach gleichen Kriterien ein – egal welcher Krankenversicherung wir angehören. Am Ende kommen unterschiedliche Leistungen heraus."

Könnte jeder wie in Deutschland selbst auswählen, welcher Kasse er angehört, wären die unterschiedlichen Leistungen verständlich, vergleicht Bachinger die Systeme. "Es ist aber nicht argumentierbar, dass wir nach gleichen Kriterien einzahlen, aber die Leistungen nach unterschiedlichen Kriterien herauskommen."

Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer führt weiter aus: "Es gibt in Österreich 14 Honorarkataloge von 21 Krankenkassen, dazu kommen 10 Ärztekammern. Ob und wie jemand versorgt wird, hängt wesentlich davon ab, welcher Kasse er angehört und welche Motivation auf den behandelnden Arzt ausgeübt wird."

Laut Bachinger gibt es sogar innerhalb der Kassen Unterschiede – je nachdem, zu welchem Chefarzt man kommt. Dazu kommt die unterschiedliche Abrechnung für die Ärzte: Sie erhalten für die gleiche Leistung – etwa eine Blutabnahme – unterschiedlich hohe Honorare. "Das sind falsche finanzielle Anreize. Natürlich ist man dann als BVA-Patient willkommener als wenn man GKK-Versicherter ist. Das gehört vereinheitlicht, sonst schlägt sich das auf den Patienten durch."

Pichlbauer fasst das Problem zusammen: "Alle sprechen von der Zwei-Klassen-Medizin. In Wirklichkeit haben wir eine 21-Klassen-Medizin. Die Unterschiede in den Leistungskatalogen führen dazu, dass die Patienten unterschiedlich gut versorgt werden." Manche Kassen zahlen für alte, unmobile Menschen etwa Hausbesuche – andere zahlen nur das erste Mal, wiederum andere gar nichts.

Dennoch ist die freie Kassenwahl nach deutschem Vorbild nicht zu befürworten. Bachinger: "Der Wettbewerb zwischen den Kassen führt zu einer Auslese von vor allem jungen Männern, die kein großes Risiko tragen. Alte Menschen und Frauen im gebärfähigen Alter sind nicht sehr erwünscht."

Leistungskatalog

Österreich sollte sich in Richtung eines gemeinsames Leistungskataloges bewegen, sagen die Experten. Pichlbauer: "Die Idee gibt es seit mindestens zehn Jahren – genauso lang gibt es den Widerstand dagegen. Ein EKG sollte überall unter den gleichen Bedingungen als EKG definiert sein – die gleichen Leistungen sollten überall gleiche Dinge meinen."

Auch Bachinger wünscht sich mehr Transparenz – die Koordinierungskompetenz sieht er in der Hand des Hauptverbands: "Ich müsste als Patient die Möglichkeit haben, im Vorhinein zu sehen, wie die Kassa voraussichtlich entscheiden wird. Es wäre notwendig, dass der Hauptverband mehr Kompetenzen bekommt, um bei den einzelnen Kassen mehr durchgreifen zu können."

Privatversicherungen: Hotelkomponente, aber keine Bevorzugung

Wenn von Zwei-Klassen-Medizin gesprochen wird, ist die Bevorzugung von Patienten mit einer privaten Zusatzversicherung gemeint. Etliche Tests, etwa vom Verein für Konsumenteninformation, haben immer wieder gezeigt, dass gesetzlich Krankenversicherte vielerorts noch benachteiligt werden – etwa, wenn es um einen früheren Termin für eine Operation geht.

Kritiker pochen darauf, dass eine Privatversicherung nur die sogenannte Hotelkomponente beinhalten, sich also nur auf die Unterbringung beziehen darf – etwa ein Einzelzimmer mit schönerem Ausblick, mehr Auswahl beim Essen oder Zeitungen zum Frühstück, auch die freie Arztwahl. Die Qualität der medizinischen Versorgung darf allerdings nicht vom Geldbeutel abhängig sein. So ist das auch im Gesetz festgeschrieben.

Patientenanwalt Gerald Bachinger betont: "Patienten, die Schmerzen haben, ist es nicht egal, ob sie zwei bis drei Monate früher oder später drankommen." Er lässt auch das Argument nicht gelten, dass eine Privatversicherung mit den verschiedenen Klassen im Flugzeug zu vergleichen ist: "Jemand, der in der 1. Klasse fliegt, sitzt komfortabler, aber er kommt auch nicht früher am Zielort an."

Löblich sei das transparente Wartezeiten-System, das inzwischen in einigen Bundesländern eingeführt wurde – allerdings in unterschiedlicher Ausführung. So sind etwa die Daten von Wien und Niederösterreich wegen der verschiedenen Systeme nicht vergleichbar, bemängelt er. "Hier hätte ich mir mehr Vorgaben vom Bund gewünscht."