Video: Blinder kann wie Fledermaus sehen
Von Uwe Mauch
Als wäre er hier viele Jahre lang zur Schule gegangen, bewegt sich der Kalifornier Dan Kish durch die Aula des Bundesblindenerziehungsinstituts am Rande des Wiener Praters. Dabei ist der Fledermausmann, wie ihn seine Schüler auch rufen, von Kindheit an blind! Er war noch nicht einmal ein Jahr alt, da hat ein Netzhaut-Tumor sein Augenlicht ausgelöscht.
Ab und zu ist das leise Schnalzen seiner Zunge zu hören. "Aufgrund des Echos kann ich mich überall sofort orientieren", erklärt der 45-jährige Entwicklungspsychologe aus Los Angeles. Wie eine Fledermaus oder ein Delfin wandelt sein Hirn akustische Signale ständig in 3-D-Bilder um. Natürlich sieht er die Hindernisse vor sich nicht. Aber er kann sie hören.
KURIER-Video: Blind Date
"Es ist, als würde man Gips in eine Form gießen", erklärt Kish beim Blind Date mit dem KURIER. "Das Echo nimmt die Form der Umgebung an." Beigebracht hat er sich das selbst. Und das ist auch die zentrale Botschaft auf seiner Vortragstour quer durch Europa.
Seine Eltern wären keine Universitätsprofessoren gewesen. Seine Mutter hatte bei seiner Geburt gerade die High School abgeschlossen, sein Vater arbeitete als Automechaniker in Montebello, einem östlichen Vorort von L. A. "Doch beide haben mir von Anfang an unglaublich viel Freiheit gelassen."
Mit sechs Jahren wollte er - wie alle anderen Gleichaltrigen - Radfahren lernen, also hat ihm sein Vater ein Kinderrad gekauft. Und dann fegte der blinde Bub bald besser durch die Wohnstraßen von Montebello als die Polizei erlaubte. Heute kann er ohne Angst ein Mountain Bike manövrieren, und zwar nicht nur im Wiener Prater, sondern nachweislich auch in kalifornischen Canyons. Dort hat er vor Videokameras demonstrativ auch steile Wände erklommen.
Fragt man ihn, was er dabei erlebt hat, zitiert Kish den amerikanischen Traum: "Die große Freiheit." In Wien bekommt er von der großen Freiheit derzeit wenig mit. Denn etliche Sonder- und Heilpädagogen sehen in ihm eine Art Heilsbringer. Dementsprechend groß ist auch das G'riss um den mobilen Fledermausmann bei seiner ersten Österreich-Visite.
Bis Samstag stehen auch noch Workshops mit blinden Kindern und Erwachsenen auf seinem Programm. Die sind auch schon lange hoffnungslos ausgebucht.
"Mein Vater wollte immer, dass ich mit 18 von zu Hause ausziehen kann und - so wie er - Steuern bezahle." Sein Vater ist eine wichtige Argumentationshilfe, wenn es darum geht, auch die Eltern von blinden Kindern davon zu überzeugen, dass "mehr Bewegungsfreiheit mehr Lebensqualität bedeutet".
Blindes Vertrauen
Allzu strengen Theoretikern, die seiner Ansicht nach für zu viel Vorsicht bei der Erziehung blinder Kinder plädieren, antwortet Daniel Kish mit seinem sanften Zungenschnalzen: "Ich kann mich selbst auf fremden Flughäfen frei bewegen, schwimme dort wie ein Fisch im Wasser." Sagt es, und radelt für den KURIER-Fotografen ein paar Runden im Schulhof. Seine Erklärung dafür: "Weil ich nie überbehütet war, weil ich von Kind auf gelernt habe, mit meiner Freiheit verantwortungsvoll umzugehen."
Hoffnung: Auch für 318.000 Österreicher
Dunkelziffer In Österreich sind 318.000 Menschen als blind bzw. sehbehindert registriert. Die Dunkelziffer dürfte aber laut einer Sprecherin des Blinden- und Sehbehindertenverbands deutlich höher sein.
Licht ins Dunkel Dan Kish hat bisher mehr als 500 blinde Menschen in seiner von ihm entwickelten Technik des Echo-ortens unterrichtet. Je früher er damit beginnen kann - umso besser für seine Schützlinge.
Lichtgestalt Inzwischen lehren auch einige Schüler nach der Kish-Methode. Die Lichtgestalt unter den Blinden entwickelt derzeit eine eigene Hörbrille (sendet feinere Ultraschall-Töne aus als die menschliche Zunge) und ein Blindenstock-Training.