Schizophrenie: Kreis der Ohnmacht durchbrechen
Von Dietmar Kuss
Schizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung, die die Gesamtpersönlichkeit des Betroffenen umfasst. Analog dazu ist im Umgang mit der Krankheit das familiäre und soziale Umfeld stark involviert. Die Betreuung obliegt meist den Angehörigen, der Familie wird dabei eine tragende Rolle zugeschrieben. Durch die emotionale Verstrickung ist dies ein schwieriges Unterfangen. Für ausreichende professionelle Hilfe stehen in Österreich nicht die nötigen Mittel zur Verfügung. Der Verein "Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter" (HPE) will die Angehörigen mit ihren Problemen nicht alleine lassen. Zu den Angeboten der HPE zählen unter anderem Beratungen, Gruppentreffen, Tagungen und Seminare. "Menschen, die sich an uns wenden, werden in ihrer Situation angenommen, und es werden Informationen zur Verfügung gestellt", sagt HPE-Geschäftsführer Edwin Ladinser im KURIER.at-Gespräch.
Neben der "Ersten Hilfe" brauchen Angehörige vor allem eines: Motivationsfähigkeit. Sehr oft sind die Patienten nicht in ärztlicher Behandlung. Aufgabe sei es auch, die Angehörigen dazu zu ermutigen, mit dem "Kranken" zum Arzt zu gehen. Das fällt vielen schwer, die Stigmatisierung ist vor allem im ländlichen Bereich eine Barriere. Oft führen Gefühle wie Scham und Schuld bei Angehörigen zu Stress und Überforderung. "Viele suchen noch immer Institutionen im Nachbarort auf", eben aus Scham, so Ladinser.
Online-Hilfe
Aber das muss nicht sein. Auf der Internetseite der HPE gibt es eine auch Online-Beratung, wo man sich schnell und unbürokratisch Hilfe holen kann. Eine professionelle Software sorgt dafür, dass der Datenschutz gewahrt bleibt. Edwin Ladinser: "Angehörige, die sich über diesen Weg an uns wenden, stehen bereits unter einem enormen Leidensdruck. Und sind dankbar, weil sie ihre Probleme auch in strukturierter Form irgendwo deponieren können.“ Die HPE hat vor kurzem auch ein spezielles Forum für Kinder von psychisch Kranken ins Leben gerufen. Jugendliche können sich umfassend informieren, unter dem Punkt "Kurz und bündig" werden die am häufigsten gestellten Fragen beantwortet. In vielen Fällen werden Störungen in der Familie nicht thematisiert, trotzdem spüren das vor allem Kinder und Jugendliche. Da muss es sich gar nicht einmal um eine Psychose handeln - auch wenn "die Mama manchmal komisch" ist, kann das zur Überforderung der Kinder führen.
Das System Familie
"Die Ressourcen der Familienmitglieder müssen erhalten bleiben", sagt Ladinser. Von Akutsituationen abgesehen, soll sich nicht alles um "die Krankheit" drehen. Bei der Suche nach Lösungen und dem Versuch, so etwas wie "Alltag" wieder einkehren zu lassen, ist die Einbeziehung der ganzen Familie wichtig. Das Familiensystem ist mit ineinandergreifenden Zahnrädern vergleichbar: Dreht sich eines, drehen sich andere auch. Denn: Die Rückfallsquote bei Schizophrenen, deren Angehörige sich umfassend und gemeinsam mit dem Thema beschäftigen, nimmt ab, besagt eine Studie. Systemischen Ansätzen wird in fast allen Therapieformen inzwischen Rechnung getragen.
Erfahrungsaustausch
Im Rahmen der Selbsthilfegruppen, die von der HPE angeboten bzw. organisiert werden, geht es vor allem um Erfahrungsaustausch. Angehörige vernetzen sich hier mit Gleichgesinnten und werden so selbst zu Experten. Angeboten werden Gruppentreffen unter anderem speziell für Geschwister. Vor allem hier ist die Grenzziehung ein wichtiges Thema. Einer Publikation des "Bezirksklinikum Regensburg" zufolge zählen Geschwister zu den "vergessenen Angehörigen". "Eine Schwester bzw. ein Bruder zu sein" wird fälschlicherweise häufig mit "nicht direkt betroffen sein bzw. außen vor zu sein" assoziiert, heißt es in dem Bericht. Das steht im Gegensatz zu der Tatsache, dass Geschwister in vielen Fällen die wichtigsten Bezugspersonen sind.
Finanzielle Situation
Die Familien von psychisch Kranken haben auch mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Denn es muss für den Unterhalt des Betroffenen gesorgt werden. Umfassende und vernetzte Infos hält auch hier die HPE bereit. "Österreich hat ein weitgehend funktionierendes Sozialsystem. Man muss einen Antrag stellen, aber genau dies ist vielen Erkrankten nicht mehr möglich", gibt Ladinser zu Bedenken. "Wichtig ist, dass alle Angehörigen an einem Strang ziehen", sagt Ladinser abschließend. Nur so könne sich die Situation der Familie dauerhaft bessern – und damit auch die des Patienten.
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