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Mein Fleisch is’ net deppert

Seit Montag geht es um die Wurst. Die Weltgesundheitsbehörde WHO hatte zu Wochenbeginn eine Studie vorgestellt, die ausufernden Konsum von Wurst, Schinken und anderem verarbeiteten Fleisch als krebsfördernd entlarvt: Wer täglich 50 Gramm davon isst, hat ein um 18 Prozent erhöhtes Darmkrebsrisiko, bei rotem Fleisch liegt die kritische Grenze bei 100 Gramm täglich. Geflügel wurde nicht untersucht.

Seitdem bekam die WHO Dinge zu hören, gegen die ein Shitstorm wie eine Sommerbrise wirkt.

Politik und Fleisch-Lobby reagierten von verniedlichend ("Niemand muss Angst haben, wenn er mal eine Bratwurst isst" – der deutsche Agrarminister Christian Schmidt) über verleugnend ("Es gibt keinen monokausalen Zusammenhang zwischen Verzehr und Krebs", – Deutscher Fleischer-Verband) bis irrational ("Italienisches Fleisch ist gesund und nicht mit Hormonen behandelt", – Italiens Landwirtschaftsverband). Der Verband nordamerikanischer Fleischproduzenten NAMI unterstellte den Wissenschaftlern Voreingenommenheit, einigermaßen unterhaltsam war die Reaktion der bolivianischen Gesundheitsministerin Vicky Aguilar: Esst Lama!

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der 22 Experten, die für die WHO mehr vals 800 Studien ausgewertet hatten, regten also ziemlich auf.

Abwehr als Schutz

Weil Fleisch etwas ist, das den Menschen essenziell scheint, erklärt Gesundheitspsychologin Daniela Renn: "Ich betone: scheint! Natürlich kann man mit wenig oder ohne Fleisch- und Wurstwaren – eine ausgewogene Ernährung vorausgesetzt – leben, aber es gehört für die meisten zum Alltag. Zu fast jedem Frühstück bekommt man Wurst und Käse. Da denken jetzt viele: Wie kann etwas, das man immer konsumiert, schlecht sein?"

Muss man sich eingestehen, dass jahrelange Gewohnheiten falsch waren, fördert das ein schlechtes Gewissen. "Auf die Erkenntnis ‚Ich lebe also ungesund‘ folgt zunächst eine ganz normale Schutzhaltung, wie wir das in der Psychologie nennen: erst abwehren, dann näher betrachten."Dazu kommt das kulturhistorische Bild des Fleischkonsums: Wir jagten die Mammuts, ernährten uns immer von Fleisch, zu besonderen Anlässen gab es einen Braten. Darüber hinaus hat Fleischliches den Nimbus von Kraft. Renn: "Arbeiter und Bauern wussten, wenn sie Fleisch essen, haben sie mehr Energie. Die wir aufgrund der Veränderungen in unserer Arbeitswelt in dieser Form heute gar nicht mehr benötigen."

Die Fleischlobby sagt uns in Werbespots aber noch immer "Fleisch bringt’s" und vermittelt: je mehr Fleisch, umso stärker. Mit Erfolg. 2014 wurden in Österreich 108.000 Tonnen Wurst und Schinken gekauft, dazu kommt die Gastronomie, deren Zahlen nicht veröffentlicht werden. Es wundert daher wenig, dass Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter auf die WHO-Zahlen am verhaltensauffälligsten reagierte. Erste Reaktion: "Eine Farce! Österreichs Wurst ist und bleibt bedenkenlos die beste!" Dann ein lapidares Weiß-man-eh-längst-Alles. Zuletzt eine Einladung zur Speck- und Wurstjause im Parlament.

Bauernbund-Präsident Jakob Auer nannte die WHO-Meldung "irrwitzig", die Fleischer-Innung betonte, dass Fleisch "ein wertvolles Nahrungsmittel" ist und "gesundheitliche Vorteile bringt", allerdings mit dem sinnvollen Zusatz: "bei maßvollem Genuss". Eben das hatte die WHO ursprünglich gesagt.

Schnelle Änderung?

Psychologin Renn sieht in der Abwehrreaktion der Politik keine natürliche Schutzhaltung: "Da würde ich eher die Verknüpfung mit der Wirtschaft sehen. Man darf nicht vergessen, dass die fleischverarbeitende Industrie ein riesiger Wirtschaftszweig ist."

Eine gesellschaftliche Veränderung des zu hohen Fleischkonsums braucht Zeit. Dem widersprechen allerdings erste Umfragen, die nach der WHO-Meldung durchgeführt wurden: Jeder fünfte sei deswegen besorgt und jeder siebente will künftig weniger Fleisch essen. Dazu braucht es laut Renn vor allem ein klares Bewusstsein: "Fleisch ist ja per se nicht ungesund, aber viele nehmen gar nicht mehr wahr, wie oft sie Fleisch essen." In Befragungen, ob jemand heute schon Fleisch zu sich genommen hat, würden Testperson gelegentlich antworten: Nein, nur einen Kebab zu Mittag."

Eine durchdachte Kritik an der Studie kam vom Medizinobelpreisträger des Jahres 2008, Harald zur Hausen. Er beanstandet, dass die Forscher nicht ausreichend zwischen den verschiedenen Sorten roten Fleisches differenziert hätten. Und nicht beantworten können, warum in manchen Ländern mit hohem Fleischkonsum Dickdarmkrebs im statistischen Durchschnitt liegt.

Gestern nahm die WHO zum Kritik-Orkan Stellung: Man wolle niemandem Fleisch verbieten. Und wiederholte ganz langsam, zum Mitschreiben: Geringerer Fleischverzehr mindert das Risiko für Darmkrebs.