Erhöht rotes Fleisch das Diabetes-Risiko?
Große Langzeit-Beobachtungsstudien kommen weltweit zu dem Ergebnis, dass ein hoher Konsum von rotem Fleisch, das heißt Rind-, Schweine- oder Lammfleisch, mit einem erhöhten Typ-2-Diabetesrisiko verbunden ist. Auch die Daten der Potsdamer EPIC**-Studie weisen darauf hin. Wie sie zeigen, geht der tägliche Verzehr von 150 Gramm rotem Fleisch mit einem um ca. 80 Prozent erhöhten Erkrankungsrisiko einher. Eine ähnliche Risikoerhöhung beobachteten die Wissenschaftler auch in Verbindung mit dem Rauchen von mehr als 20 Zigaretten pro Tag, mit einer Zunahme des Taillenumfangs um 7,6 cm oder in Zusammenhang mit einer erblichen Vorbelastung durch Mutter oder Vater. Welche Stoffwechselprozesse der Risikobeziehung zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch und Typ-2-Diabetes zugrunde liegen und ob bestimmte im Fleisch enthaltene Stoffe wie Eisen hierfür eine Rolle spielen, ist jedoch noch nicht hinreichend erforscht.
Biomarker
Insgesamt überprüften die Forscher 127 verschiedene Biomarker im Blut der Teilnehmer, wobei 21 dieser Marker sowohl bei Frauen als auch bei Männern mit dem Fleischverzehr in Beziehung standen. Bei sechs dieser Biomarker waren die beobachteten Konzentrationsänderungen zudem mit einem erhöhten Diabetesrisiko verbunden. So hatten Studienteilnehmer mit einem hohen Ferritinspiegel*** und einem niedrigen Spiegel des Eiweißbausteins Glyzin ein erhöhtes Diabetesrisiko. Ebenso waren bei diesen Teilnehmern die Werte von vier Lipiden**** verändert, die von der Leber ans Blut abgegeben werden.
Eisenspeicher voll
„Hohe Ferritinspiegel bedeuten, dass die Eisenspeicher voll sind und können auf eine hohe Eisenaufnahme hinweisen. Wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, führt ein Zuviel an Eisen dazu, dass sich in den Körperzellen verstärkt hochreaktive Moleküle bilden, welche die Zellen schädigen. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang auch von oxidativem Stress“, erklärt Wittenbecher, Erstautor der Studie. „Da Glyzin ein zentraler Bestandteil der körpereigenen Systeme ist, welche die Zellen vor oxidativem Stress schützen, und gleichzeitig Entzündungsreaktionen entgegenwirkt, könnten hohe Ferritinspiegel und niedrige Glyzinwerte annehmen lassen, dass der Körper einem erhöhten oxidativen Stress ausgesetzt und vor Entzündungen weniger gut geschützt ist. Dies wiederum könnte den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch und Diabetes erklären, da oxidativer Stress sowie Entzündungsreaktionen nach neuestem Wissensstand zur Typ-2-Diabetes-Entstehung beitragen“, so Wittenbecher weiter. Die veränderten Lipidwerte würden zudem auf einen gestörten Fettstoffwechsel der Leber hinweisen, der nach Angaben der Wissenschaftler ebenso zur Krankheitsentstehung beitragen könne.
Keine einzelne Substanz schuld
Hintergrundinformationen:
*Biomarkersind charakteristische biologische Merkmale, die objektiv gemessen werden und auf einen normalen biologischen oder krankhaften Prozess im Körper hinweisen können. Bei einem Biomarker kann es sich um Zellen, Gene, Stoffwechselprodukte oder bestimmte Moleküle wie Hormone handeln. Als eingängiges Beispiel sei das Blutbild genannt, das Hinweise auf den Gesundheitszustand des Patienten gibt (Quelle: Wikipedia).
** EPIC steht für European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition. Sie ist eine der größten prospektiven („vorausschauenden“) Studien, welche die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Krebs und anderen chronischen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes untersucht. An der EPIC-Studie sind zehn europäische Länder mit insgesamt 519.000 weiblichen und männlichen Studienteilnehmern im Erwachsenenalter beteiligt. In Deutschland gehören das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg sowie das DIfE zu den EPIC-Studienzentren. Die Potsdamer EPIC-Teilstudie schließt mehr als 27.500 erwachsene Studienteilnehmer/innen ein. Bei der Auswertung einer prospektiven Studie ist es wichtig, dass die Teilnehmer zu Beginn der Studie noch nicht an der zu untersuchenden Krankheit leiden. Die Risikofaktoren für eine bestimmte Erkrankung lassen sich so vor ihrem Entstehen erfassen, wodurch eine Verfälschung der Daten durch die Erkrankung weitestgehend verhindert werden kann - ein entscheidender Vorteil gegenüber retrospektiven Studien.
***Ferritin (lat. ferrum, ‚Eisen‘), auch Depot-Eisen, ist ein Proteinkomplex, der in Tieren, Pflanzen und Bakterien vorkommt, wo er als Speicherstoff für Eisen dient. Bei gesunden Menschen sind ca. 20 Prozent des gesamten Eisens in Ferritin gespeichert. Die Ferritinkonzentration im menschlichen Blutserum ist ein aussagekräftiges Maß für den gesamten Eisenspeicher des Organismus (Quelle: Wikipedia).
**** Lipidesind ganz oder zumindest größtenteils wasserunlösliche Stoffe, die in verschiedene Klassen unterteilt sind. Im menschlichen Körper werden sie z. B. zum Aufbau von Zellmembranen als Baustoffe verwendet, dienen als Energiespeicher oder Botenstoffe. Die in der neuen Studie identifizierten Phospholipide (Diacyl-Phosphatidylcholine C36:4 und C38:4, Lysophosphatidylcholin C17:0 sowie Sphingomyelin C14:1) kommen in Zellmembranen und frei im Blut vor. Sie üben vermutlich wichtige Funktionen als Botenstoffe aus und könnten das mit dem Fleischverzehr assoziierte Diabetesrisiko vermitteln.