Magersucht hat eine genetische Basis
Erstmals konnte eine große und international durchgeführte Gesamtgenom-Analyse aufzeigen, dass die Magersucht genetische Auffälligkeiten auf dem Chromosom 12 zeigt. Diese Erkenntnis kann zu neuen und interdisziplinaren Therapieansätzen führen. Die Studie wurde von der Universität North Carolina geleitet und wurde im Topjournal „American Journal of Psychiatry“ publiziert. Für den österreichischen Beitrag war der Kinder- und Jugendpsychiater Andreas Karwautz von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien verantwortlich.
Gene zu 60 Prozent verantwortlich
Etwa 7.500 Jugendliche leiden aktuell in Österreich an Magersucht (Anorexia nervosa). Zu rund 95 Prozent leiden Mädchen an dieser schweren und langwierigen Erkrankung, die durch extreme Gewichtsabnahme zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führt. Die Krankheit ist bisher zu 80 Prozent heilbar, allerdings besteht auch eine Mortalität von jährlich 0,5 Prozent. An der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien sind derzeit stationär und ambulant etwa 70 schwerkranke Jugendliche in Behandlung.
Man weiß heute durch genetische Untersuchungen an eineiigen Zwillingskindern zwar bereits, dass an der Entstehung der Magersucht zu etwa 60 Prozent Gene verantwortlich sind. Welche Genabschnitte dabei entscheidend sind, war bisher nur unzureichend bekannt. Erstmals wurde nun eine weltweit laufende Studie von der amerikanischen Universität North Carolina initiiert, in deren Rahmen 220 ForscherInnen in internationalen medizinischen Zentren das genetische Material von 3.500 an Magersucht erkrankten Personen analysierten. Es zeigte sich, dass die Erkrankten gegenüber der Kontrollgruppe von 11.000 Personen einen signifikanten Abschnitt auf dem Chromosom 12 aufwiesen, die zu einem erhöhten Magersucht-Risiko beiträgt. Außerdem wurde untersucht, ob eine Korrelation mit anderen Erkrankungen vorliegt. Dabei stellte sich heraus, dass der signifikante Abschnitt auf Chromosom 12 in einer Region liegt, der mit Typ-1 Diabetes und Autoimmunkrankheiten sowie Insulin-Stoffwechselprozessen verbunden ist. Zudem fanden sich genetische Korrelationen zwischen der Magersucht, Schizophrenie und Neurotizismus, was das Konzept der Magersucht als psychiatrische Störung untermauert.
Verbesserte Therapie durch neue Erkenntnisse
Kinder- und Jugendpsychiater Karwautz sieht in diesem Studienergebnis einen wesentlichen Nachweis dafür, dass neben den psychosozialen Komponenten auch biologische Faktoren für das Auftreten einer Magersucht eine höchst bedeutsame Rolle spielen. Das hat große Implikationen für verbesserte Therapien. Karwautz: „Um den Patienten und ihren Angehörigen eine sinnvolle, der Wirklichkeit angepasste Erklärung für diese dritthäufigste, langdauernde Erkrankung im Jugendalter bieten zu können, sind solche Studien die Basis. Auch Präventionsprogramme profitieren von den neuen Ergebnissen.“