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Die neue Angst der Ärzte vor dem "Super-Keim"

Wissenschafter haben ein Gen neu entdeckt, das Bakterien immun gegen die Behandlung mit jeglichen Antibiotika - auch jenen, die noch gegen mehrfach resistente Stämme wirken - werden lässt. für multiresistente Keime werden lässt. Das MCR-1-Gen verbreite sich außerdem leicht durch horizontalen Gentransfer zwischen mehreren Bakterienstämmen und habe so „Epidemie-Potenzial“, schreiben die Experten in der am Donnerstag im Magazin „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlichten Studie.

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Sie entdeckten das Gen bei der Untersuchung von Routineproben von Schweinen und Hühnern in Südchina, die antibiotikaresistente Keime in sich trugen. „Das sind extrem besorgniserregende Ergebnisse“, sagte der Hauptautor der Studie, Liu Jian Hua. Dieser zufolge kommt das Gen bisher nur in China vor, seine weltweite Verbreitung sei aber wahrscheinlich. Durch das Gen werden Bakterienstämme gegen eine Antibiotika-Familie resistent, Polymyxine genannt, die als letzter Ausweg bei der Behandlung von multiresistenten Keimen eingesetzt werden.

"Post-antibiotische Ära"

„Wenn MCR-1 sich weltweit verbreitet, was nur eine Frage der Zeit ist, dann wird es sich unvermeidlich mit anderen Genen der Antibiotika-Resistenz verbinden. Dann werden wir sehr wahrscheinlich den Beginn der post-antibiotischen Ära erreichen“, sagte Timothy Walsh von der Universität Cardiff, der zur Studie beitrug. Bei weiteren Untersuchungen war das MCR-1-Gen in Bakterien von 20 Prozent der untersuchten Tiere aufgetreten sowie in 15 Prozent der Proben von rohem Fleisch. Das Gen wurde in Krankenhäusern der Provinzen Guandong und Zhejiang bei 16 von 1322 menschlichen Proben entdeckt.

Laut den Wissenschaftern wird die Veröffentlichung die Debatte um den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung erneuern. Bisher war eine solche Resistenz nur durch Mutationen in einzelnen Organismen aufgetreten, womit ihre Übertragbarkeit extrem begrenzt war. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte bereits vor einer „Rückkehr in Vor-Antibiotika-Zeiten“, in denen sich schon geringfügige Infektionen oder Schnittverletzungen als tödlich erweisen könnten.

700.000 Todesopfer weltweit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zum stärkeren Kampf gegen die Antibiotika-Resistenz von Bakterien aufgerufen. Jedes Jahr sterben laut WHO rund 700.000 Menschen, weil Antibiotika gegen bestimmte Bakterien nicht mehr wirken - allein in Deutschland sind es mindestens 10 000. „Die zunehmende Antibiotika-Resistenz ist eine globale Gesundheitskrise“, erklärte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan. „Sie erreicht in allen Teilen der Welt ein gefährliches Ausmaß.“ In Europa fordern gegen Antibiotika resistente Keime jährlich rund 25.000 Todesopfer. Das erklärte kürzlich EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis aus Anlass des Europäischen Antibiotikatages in Brüssel. Vor allem auf die Aufklärung der Öffentlichkeit komme es an, um die Gefahr zurückzudrängen.

Es ist nicht schwierig, Mikroben gegen Penicillin resistent zu machen“, zitierte Andriukaitis den Entdecker der ersten breit gegen mikrobielle Infektionen eingesetzten Medikamente, Alexander Fleming (1945). „Wir müssen das Bewusstsein der Öffentlichkeit stärken. Wir haben es mit einem sehr ernsten Problem zu tun. Ich habe in meiner Ausbildung zum Arzt noch gelernt, dass es bald keine Infektionskrankheiten mehr geben werde.“ Das habe sich eindeutig als Irrtum herausgestellt.

"Keime kennen keine Grenzen"

Andriukaitis fügte hinzu: „Seit 1987 gibt es kein neues Antibiotikum. Diese Keime werden auch über Lebensmittel und Abwässer verbreitet. Sie kennen keine Grenzen. (...) Das Problem ist so komplex und so groß wie der Klimawandel.“ Noch immer würden viel zu viele Menschen glauben, dass Antibiotika gegen durch Viren hervorgerufene und per Impfung verhütbare Krankheiten helfen würden. Hinzu kämen falsche prophylaktische Anwendung, Selbstmedikation und dubiose Quellen für solche Medikamente.

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Zsuzsanna Jakab, Direktorin der WHO-Region Europa, verwies in Brüssel auf die Länder- und Regionen-übergreifende Problematik. Dies hätte auch der erste Antibiotikaresistenz-Bericht für Osteuropa und Zentralasien zusammen mit den seit längeren jährlich erhobenen Daten aus dem EU-Bereich gezeigt: „Die Schweiz weist zum Beispiel eine ähnliche Situation bei den Resistenzen auf wie Nordeuropa. Die Türkei ähnelt Ost- und Südeuropa, Serbien und Makedonien.“

Antibiotikaverbrauch variiert stark

Wesentlich sind der Umfang des Antibiotikagebrauchs und seine Qualität. Mehr Antibiotika, das bedeutet vermehrte Resistenzen. Antibiotikagebrauch ohne strikte ärztliche Verschreibung, zu kurz oder zu lang oder mit falschen Mitteln - das ist ebenfalls der Weg, um Keime unempfindlich zu machen. „Innerhalb von 42 europäischen Ländern gibt es einen Unterschied in der Menge der verwendeten Antibiotika um das Vierfache“, sagte Zsuzsanna Jakab. Während beispielsweise die Türkei und Montenegro ganz oben in der Liste sind, liegen Österreich, Deutschland, Estland und die Niederlande am Ende. In Skandinavien und Staaten wie Deutschland und Österreich ist die Resistenzsituation im Vergleich relativ gut, doch das hängt ganz von den Hygienemaßnahmen im Gesundheitswesen, der Güte der Diagnostik und der adäquaten Verwendung der wertvollen Medikamente ab.

Resistenzen nehmen zu

Ein gemischtes Bild zeichnete in Brüssel die Geschäftsführende Direktorin des Europäischen Zentrums für Krankheitskontrolle (ECDC/Stockholm), Andrea Ammon: „Insgesamt haben die Resistenzen laut der neuen Erhebung der EU zugenommen. Doch bei den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus-Infektionen zeigt sich ein Rückgang. In fünf Ländern, in Dänemark, Luxemburg, Slowenien, Spanien und Schweden, ist im Zeitraum von 2010 bis 2014 erstmals der Antibiotikagebrauch zurückgegangen. Das zeigt, dass solche Dinge machbar sind.“ In Schweden reduzierte sich die verbrauchte Antibiotikamenge beispielsweise um 16 Prozent, in Dänemark um zehn Prozent.

Große Sorgen macht den Experten die immer weitere Verbreitung von Bakterien, welche Enzyme produzieren, die auch die quasi letzten Mittel gegen Gram-negative Keime (z.B. Klebsiella pneumoniae) unwirksam machen: die sogenannten Carbapeneme. Auch diese Keime sind in Europa im Aufwind begriffen.