Zwillingsexperiment zeigt, wie sich DNA im All verändert
Hunderte Kilometer trennten die Zwillingsbrüder Kelly. Während Scott zu seinem 340-tägigen Aufenthalt auf der Internationalen Raumstation ISS, 400 Kilometer über der Erde, aufbrach, blieb Mark am Boden – als Vergleichsproband. Die ehemaligen Astronauten sind nun Teil eines aufwendigen Experiments. Die Raumfahrtbehörde NASA will wissen, wie sich ein All-Aufenthalt auf den Körper auswirkt. Und sehen, ob sich das Erbgut der Zwillinge unterscheidet. Alles für den Fall, dass es einmal zum Mars gehen sollte.
Länger leben im All?
Nun gaben die Forscher Einblick in erste Ergebnisse. "Wir sehen fast überall Unterschiede", berichtet Genetiker Christopher Mason. Nicht nur, dass Scott Kelly um 3,8 Zentimeter größer auf die Erde zurückkehrte, auch seine Chromosomen-Enden (Telomere) waren länger. Das überraschte, denn die Forscher haben Gegenteiliges erwartet. Telomere werden kürzer, sobald jemand altert. Wie man das verhindern kann, beschäftigt Genetiker seit Jahren. Eine US-Studie von Richard Cawthon, Genetiker an der Universität von Utah, zeigte zuletzt, dass Menschen mit längeren Chromosomendkappen im Schnitt fünf Jahre länger leben. Für seine Untersuchungen verglich er die Lebensdauer von zwei Gruppen älterer Probanden, jeweils mit kürzeren und mit längeren Telomeren. Zwar schrumpften die Endkappen bei allen Probanden, die Gruppe mit den längeren Telomeren lebte aber durchschnittlich länger. Allerdings spielen dabei Ernährung und Bewegung eine wichtige Rolle. Vermutlich auch bei Scott Kelly, der täglich 2,5 Stunden trainierte und Spezial-Kost aß. Apropos. Diese Faktoren sowie Stress und Schlafmangel beeinflussen, ob Gene aktiv sind oder nicht, erklärt Genetiker Markus Hengstschläger. Ihn überrascht es nicht, dass sich auch die DNA des Astronauten wegen der besonderen Umweltbedingungen veränderte, das war zu erwarten. Einen Jungbrunnen hat die NASA jedenfalls nicht gefunden. Scott Kellys Körpergröße und die Länge der Telomere gingen mittlerweile wieder zurück. Warum sie ausgerechnet im Kosmos länger wurden, wollen die NASA-Forscher in weiteren Tests herausfinden.
Was im All im Körper eines Astronauten passiert
- KNOCHEN & MUSKELN: Abbau der Knochenmasse um bis zu 1,5 Prozent, Kalzium geht verloren. Das macht den Knochen poröser, höheres Bruchrisiko. Durch die geringe Beanspruchung schrumpfen die Muskelfasern, körperliche Schwäche und schlechtere Koordination sind die Folge.
- IMMUNSYSTEM: Das Immunsystem des Gehirns ist besonders gefährdet: Unerwünschte Viren können sich im Nervensystem ausbreiten. Die Fähigkeit von Abwehrzellen, Krankheitskeime zu bekämpfen, ist beeinträchtigt. Antikörper, die im All gebildet werden, sind weniger effektiv im Kampf gegen Viren, Bakterien und Krebszellen.
- SENSOMOTORIK: Das Orientierungssystem verändert sich. Aus Füßen und Fußgelenken kommen keine Mitteilungen mehr, wo unten ist. Auch die Steuerung der Augen unterliegt der Schwerkraft – anfangs „torkelt“ der Blick. Lesen im All ist daher schwerer. 70 Prozent der Astronauten über 50 Jahre, die ein halbes Jahr auf der ISS waren, bekamen Sehprobleme.
- HERZ-KREISLAUF-SYSTEM: Schwindel, Übelkeit, Brechreiz und Kopfschmerzen – anfangs sind alle Astronauten krank, da sich die Flüssigkeitsverteilung im Körper verändert. Die Schwerkraft verlagert auch Blut aus den oberen Teilen des Körpers in die Beine. Im All muss der Körper für einen Ausgleich sorgen, den Blutdruck neu regeln.
- STRAHLENRISIKO: Astronauten sind vom schützenden Einfluss des Erdmagnetfeldes weit entfernt. Die erhöhte Strahlenbelastung führt zu lebenslang erhöhtem Krebs-Risiko und kann das Zentralnervensystem beeinträchtigen.
- SCHLAF-WACH-RHYTHMUS: Die ISS umkreist alle 90 Minuten die Erde – die verschiedenen Helligkeitszonen führen zu Schlafproblemen.
Auf der ISS musste Astronaut Scott Kelly…
- 700 Stunden spezielles Training absolvieren, um Knochen, Muskeln und Herz gesund zu halten.
- 730 Liter wiederaufbereiteten Urin und Schweiß trinken.
- 1.000 Kilometer auf einem Spezial-Laufband laufen.
- 383 Experimente über sich ergehen lassen.