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Schlaflos in Brüssel

Kann man eigentlich 17 Stunden lang verhandeln und am Ende zu einem guten Ergebnis für die Eurozone und für Griechenland gelangen? Die Psychologin Brigitte Holzinger, die ab Herbst an der Medizinischen Universität in Wien Schlafcoaches ausbilden wird, ist skeptisch: "24 Stunden Schlafentzug wirken wie 0,7 Promille Alkohol im Blut." Tatsächlich sei es vor allem für Ältere (die meisten Staats- und Regierungschefs sind nicht mehr ganz jung) extrem schwierig, die Konzentration bei großer Ermüdung aufrecht zu halten.

Sieben Stunden Schlaf

Drei von vier Menschen, also auch Politiker, benötigen mindestens sieben Stunden Schlaf pro Tag, zitiert der Wiener Schlafmediziner Michael Saletu aus Studien. Saletu, der das Schlaflabor im Rudolfinerhaus leitet, kennt auch die Auswirkungen von Schlafentzug, der bekanntlich als Folterinstrument angewandt wird: Während die Konzentration zu schwanken beginnt, verlängert sich die Reaktionszeit. Gleichzeitig werden das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis beeinträchtigt.

"Man funktioniert noch", beschreibt Psychologin Holzinger die Befindlichkeit während eines nächtlichen Verhandlungsmarathons. "Aber mehr mechanisch als emotional." Weil durch das Wachbleiben der Aufbau der Zellen gestört wird, wird es im Laufe der Nacht zunehmend schwieriger, die Augen offen zu halten. Zwischen zwei und vier Uhr in der Früh sei der Kampf gegen die Müdigkeit am intensivsten.

Lkw-Fahrer, die dem monotonen Band der Autobahn folgen, sind in dieser Zeit besonders gefährdet, während Chirurgen bei Operationen von ihrem Adrenalinausstoß profitieren. Man darf zumindest hoffen, dass beim Ringen um die Zukunft von Hellas auch bei den Volksvertretern viel Adrenalin geflossen ist. Allerdings kann so eine Nacht in Brüssel das Immunsystem schwächen, gibt Mediziner Saletu zu bedenken: "Sie sind anfälliger für Infektionen. Zum Beispiel, wenn einer mit Schnupfen hinkommt."

Am fünften Tag

Bei Sportlern wurde bereits öfters nachgewiesen, dass sich zu wenig Schlaf auf ihre Leistungen negativ auswirkt (vor allem auf Koordination und Reaktionszeit). Für Politiker wären solche Studien ebenso wünschenswert, erklären die Experten.

Spannend ist diesbezüglich, was tschechische Sportmediziner herausfanden: Am fünften Tag nach Schlafentzug brach bei ihren Probanden die mentale Leistungsfähigkeit brutal ein.

Schlafentzug über mehrere Wochen und Monate kann zu neurohormonellen Veränderungen führen, sagt Schlafmediziner Saletu. Zu wenig Schlaf kann sodann auch langfristige Schlafstörungen nach sich ziehen.

Studien von älteren Arbeitnehmern haben gezeigt, dass dauerhafter Mangel an Schlaf direkt ins Burn-out führt. Die gute Nachricht zum Schluss: Es gibt auch Menschen, die nur sehr wenig Schlaf benötigen. Der weniger gute Nachsatz: Aber die sind eher die Ausnahme.

1. Tschernobyl: Die Ingenieure des ukrainischen AKWs hatten bereits 13 Stunden Arbeit hinter sich, als im April 1986 der Reaktor 4 explodierte.

2. Exxon Valdez: Gregory Cousins war übermüdet, als er seinen Dienst antrat. Er bemerkte nicht, dass der Öltanker vom sicheren Kurs abkam – und auflief. 35.000 Tonnen Öl ergossen sich ins Meer.

3. Three Mile Island: Die partielle Kernschmelze im Atomkraftwerk ist der Unaufmerksamkeit übermüdeter Mitarbeiter des Atomkraftwerks zuzuschreiben.

4. Challenger-Explosion: Offensichtlich hat auch Schlafmangel 1986 zu der fatalen Entscheidung der Verantwortlichen geführt, die den Raketenstart trotz offensichtlicher Risiken freigaben.

5. Flugzeugabsturz: Die übermüdeten Piloten des Flugs American Airlines 1420 wollten 1999 trotz zu starker Seitenwinde am Flughafen von Little Rocks landen. Ihre Maschine rutschte über die Landebahn hinaus. 11 Menschen starben, darunter auch ein Pilot.