Jeder dritte Österreicher konsultiert Dr. Google
Von Laila Docekal
Es ist nicht jedermanns Sache, der Ordinationshilfe vor dem voll besetzten Wartezimmer zu erzählen, weswegen man gerade zum Arzt will. Jeder Dritte sucht vorher lieber im Internet nach Antworten auf seine Gesundheitsfrage. Acht von zehn finden die medizinischen Ratgeber im Internet sogar hilfreich. Das ergab eine aktuelle Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstituts IMAS.
Für den Patientenanwalt Gerald Bachinger ist "Dr. Google heute gesellschaftliche Lebensrealität", weil die Informationen anonym, ohne Wartezeiten und rund um die Uhr verfügbar sind. "Doch man muss aufpassen, sich auf möglichst seriösen Seiten zu informieren – oft stehen Geschäftsinteressen dahinter, die man auf den ersten Blick gar nicht erkennt."
Um an die richtigen Informationen zu kommen, gibt es inzwischen etliche Hilfsmittel. In Österreich hat die Patientenanwaltschaft etwa eine Broschüre mit Tipps für die Suche nach seriösen Gesundheitsinformationen herausgegeben (Download unter www.patientenanwalt.at).
Patientenuniversität
In Deutschland wurde sogar eine Patientenuniversität gegründet. Im Rahmen von Themenreihen werden die Studenten etwa über das menschliche Organsystem informiert, sagt Prof. Marie-Luise Dierks von der Medizinischen Hochschule Hannover. "Wir arbeiten mit Mitmach-Stationen zur Themen-Vertiefung und bilden die Menschen zu mündigen Bürgern mit kritischem Bewusstsein im Gesundheitswesen aus."
Das Modell ist erfolgreich – bisher gab es rund 4500 Teilnehmer, die Plätze sind regelmäßig ausgebucht. Studien haben gezeigt, dass die Teilnehmer sich nach der Teilnahme an der Patientenuniversität besser im Gesundheitswesen auskennen und sich auch besser im Internet informieren können. "Sie sind selbstbewusster in der Arzt-Patienten-Kommunikation und zu besseren Gesprächspartnern für ihre Ärzte geworden", sagt Dierks.
In Österreich gibt es ein ähnliches Programm: Im Rahmen des Mini Med Studiums werden Schwerpunkt-Themen – wie etwa Diabetes – patientengerecht aufbereitet und kostenlos in Form von Vorlesungen erklärt.
Telefon-Beratung
Ein spannendes neues Modell nach internationalem Vorbild wird gerade im Rahmen der Gesundheitsreform diskutiert, verrät Bachinger. Nach britischem Beispiel könnte bald eine telefon- und internetbasierte Beratungseinrichtung eingeführt werden, die Patienten Orientierung im Gesundheitsdschungel geben und Antworten auf einfache Fragen geben soll.
"Da sitzen erfahrene Krankenschwestern mit Ärzten als Back-up. Internationale Erfahrungen in Großbritannien und der Schweiz haben gezeigt, dass 30 bis 40 Prozent der potenziellen Patienten gar nicht mehr zum Arzt gehen, weil sie sich die Beratung direkt über das Telefon oder die Internetseite holen." Das würde eine massive Erleichterung für überfüllte Wartezimmer bringen. Es sei jedoch wichtig, dass eine seriöse öffentliche Einrichtung hinter einem solchen Projekt stehe.
Bleibt abzuwarten, wie gut diese Pläne der Ärztekammer gefallen. Dem Vernehmen nach dürfte so mancher Einkommenseinbußen befürchten. Bachinger dazu: "Das Positive an diesem Modell ist, dass vorwiegend Klientel kommt, die den Arzt wirklich braucht. Die Mediziner können sich vielmehr auf ihre eigentliche Kompetenz besinnen und sich auch wieder mehr Zeit für ihre Patienten nehmen."
Nach dem Schnupfen das Fiasko: wenig riechen, viel Kopfweh. Also googelt man nach einer möglichen Diagnose um die Begriffe "Geruchsverlust/Kopfschmerz".
Denn rasch lernt der ermattete Patient, dass seine Beschwerden lebensgefährliche Ursachen haben könnten – etwa den Abbau von Zungengewebe durch ein seltenes Leiden. Oder "Neoplasien" im Schädelbereich. Neoplasien, wie bitte? Das Netz spuckt Folgendes dazu aus: "Obduktion 38. Neoplasie der Hirnhäute". In letzter Sekunde entdeckt man, dass es hier um Tiermedizin geht – und die Obduktion einer Katze. Doch der Weg vom Tier zum Mensch ist bekanntlich nicht weit – auch Katzen haben Schnupfen.
Aus dem Eintrag darunter wird zudem klar, dass es sich bei Neoplasien um "häufige Tumorerkrankungen" handelt. Worauf der Laie darüber nachzudenken beginnt, welche Arie zu seiner Beerdigung passen könnte. Eine weitere "Dr. Google"-Seite beruhigt: "Inhalieren Sie mit Meersalz." Das wirkt.
Ein praktischer Vorteil der virtuellen Ratsuche: Man kann mit dem Arzt aufgrund der Vorinformation auf Augenhöhe kommunizieren: "Sind Sie sicher, dass es kein Nasopharynxkarzinom ist?" Was die zwei Seiten von Dr. Google beleuchtet: Einerseits surft man sich mit jedem virtuellen Arztbesuch mehr und mehr an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Im besseren Fall macht er aus passiv Leidenden mündige und kritische Menschen, die sich nicht dem System überlassen, sondern Verantwortung übernehmen.
Welchem Trugschluss man dabei nicht erliegen sollte: Zu glauben, Dr. Google sei vertrauenswürdiger als die Person im weißen Kittel. Nur ein Bruchteil der 20 Milliarden Gesundheitsseiten im Netz hält, was sie verspricht.