Im Raumanzug gehen lernen
Jeannines linke Gehirnhälfte wurde durch Sauerstoffmangel während ihrer Geburt weitgehend zerstört. Die Diagnose: Zerebralparese, eine Lähmung des Gehirns. Die Ärzte machten Mutter Marion Martin wenig Hoffnung: „Sie müssen sich damit abfinden, dass Sie ein schwer behindertes Kind haben. Jeannine wird weder sitzen, noch stehen oder reden können.“
Frau Martin fand sich mit diesem Urteil nicht ab: „Wir haben alle Möglichkeiten in Österreich ausgeschöpft. Wenn es für uns bei der Adeli-Therapie in Pieštany nicht gepasst hätte, wären wir sofort wieder weggefahren.“ Doch es hat so gut gepasst, dass Jeannine heute nicht nur sitzen kann, sondern sogar gehen und einige Worte sprechen. Der Erfolg macht die 14-Jährige gierig nach mehr.
Die Adeli-Therapie im slowakischen Pieštany, etwa 160 Kilometer von Wien, ist nicht angenehm. Sie tut sogar weh. Aber Jeannine hat damit mehr erreicht als sie oder ihre Mutter je erträumt hätten.
Nach dem vierten Aufenthalt ging Jeannine mit ihrem Hund spazieren. Sie isst ohne Hilfe ihre Spaghetti und ihr Wortschatz wächst mit jedem Besuch. Ihre Mutter kann das Glück noch immer kaum fassen: „Für uns hat damit ein neues Leben begonnen. Jeannine spürt, wie sie selbstständiger wird und will immer mehr alleine machen.“
Raumfahrt
Einfach ist der Weg dieses Erfolgs aber nicht. Die Therapie basiert auf einem Anzug, der ursprünglich für die russische Raumfahrt entwickelt wurde. Die Kosmonauten verwenden ihn, um den negativen Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf Nervensystem und Bewegungsapparat vorzubeugen. Jedes Gummiband zieht mit einer Kraft bis zu 50 Kilogramm, um eine gerade Körperhaltung zu erreichen. Mit jeder Bewegung muss Jeannine die Widerstände überwinden – sie ächzt und jammert bei jedem Schritt. Drei Therapeuten achten ständig darauf, dass sie ihre Übungen richtig ausführt. Jeannine will nicht aufhören. Sie will noch mehr alleine schaffen.
Zwei Stunden dauert eine Trainingseinheit im Adeli-Anzug. „Das Lernvermögen ist bei unseren Patienten oft gestört. Der Anzug gibt stärkere Reize, wodurch sich die Bewegungsabläufe einprägen“, erklären die Therapeuten. Dazu gibt es Massagen, Wärme- und Kältepackungen und Stromtherapien. Eine Sauerstoffbehandlung in einer Druckkammer soll helfen, schlafende Gehirnzellen zu aktivieren, um motorische und kognitive Verbesserungen zu erzielen.
„Es macht einen riesigen Unterschied, ob man ein bis zwei Mal pro Woche zu einer Therapie geht oder wie hier sechs Tage in der Woche mehrere Stunden behandelt wird“, sagt Frau Martin. Knapp über 3000 Euro kosten zwei Wochen Therapie. Exklusive Unterkunft.
Als alleinerziehende Mutter konnte sie Jeannine diese Therapien nur mit Hilfe bezahlen. Besonders tragisch ist der Umstand, dass auch das zweite Kind von Frau Martin behindert ist. Der dreijährige Niclas leidet unter dem CHARGE-Syndrom, einem seltenen genetischen Defekt. Er musste lange über eine Magensonde ernährt werden, hat einen Herzfehler, ist schwerhörig und musste bereits vier Operationen über sich ergehen lassen. Frau Martin hofft, dass auch Niclas von der Adeli-Therapie profitieren kann. Aufgrund ihrer Situation kann die ausgebildete Behindertenbetreuerin nicht arbeiten – sie lebt von der Mindestsicherung. Um ihren Kindern die Therapien ermöglichen zu können, ist sie auf Unterstützung angewiesen
Therapie ohne Medikamente
Die Adeli-Therapie wird bei Patienten mit Zerebralparese, aber auch nach einem Schlaganfall, Schädel-Hirn- Trauma oder bei Schädigungen des Rückenmarks angewendet. Das Zentrum in Pieštany betreut vorwiegend Kinder, aber auch Erwachsene. Jährlich werden etwa 100 Patienten aus Österreich, Deutschland, Schweiz und aus den USA behandelt.
Die Therapiedauer wird nach einer umfassenden Erstuntersuchung festgelegt. Sie dauert zwischen zwei und vier Wochen, in denen der Patient intensiv von mehreren Spezialisten betreut wird (ca. fünf Stunden täglich, sechs Tage pro Woche). Bei der Therapie werden keine Medikamente, Injektionen oder operative Eingriffe eingesetzt.
Internet: www.adeli-center.com
KURIER-Leser können helfen:Spendenkonto: Marion Martin, Sparkasse NÖ, Kontonummer: 05001202166, BLZ: 20256