Coronavirus: Experte rät zur Vorsicht bei experimentellen Therapien
Was auch immer in wissenschaftlichen Publikationen oder in den Medien derzeit an potenziell wirksamen Therapien gegen Covid-19 auftaucht, wirkliche wissenschaftliche Evidenz für eine gute Wirksamkeit gibt es nicht. Dies erklärte Donnerstagnachmittag der Tiroler Intensivmediziner Walter Hasibeder in einer Online-Ärztefortbildung.
"Müssen extrem vorsichtig sein"
"Wir müssen bei experimentellen Therapien extrem vorsichtig sein", sagte Hasibeder, nächster Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) vom Krankenhaus St. Vinzenz in Zams in Tirol. Dort wurden bisher etwa 17 Kranke mit schwerem Verlauf nach einer SARS-CoV-2-Infektion intensivmedizinisch behandelt. Die meisten mussten intubiert und maschinell beatmet werden. "Einige konnten wir wieder extubieren. Etwa drei stehen noch vor der Extubierung", sagte Hasibeder. Es hätte sich insgesamt um jeweils schwerkranke Patienten gehandelt. Die Dauer der notwendigen Intensivbehandlung sei zumeist lang.
"Fünf Prozent der Kranken haben wirklich schwere Verläufe. Unsere Patienten sind zwischen 68 und 84 Jahre alt. Man sieht eine Multisystemerkrankung", betonte der Experte. Da gehe es neben der SARS-CoV-2-Viruspneumonie auch um mögliches akute Nierenversagen, schwere Herzprobleme und auch um neurologische Störungen. Auffällig seien bei Covid-19 Störungen der Mikrozirkulation in den kleinen Blutgefäßen, zum Beispiel an den Fußsohlen und wahrscheinlich auch in der Lunge. Eine Blutgerinnungsstörung sei zumeist gegeben, was der Hintergrund der Durchblutungsprobleme sein könnte.
Problemfaktor: Asymptomatische Patienten
In der Verbreitung von SARS-CoV-2 sieht Hasibeder die größte Schwierigkeit bei den asymptomatischen Patienten, welche andere Menschen anstecken, selbst aber ohne Symptome sind: "80 Prozent der Patienten sind asymptomatisch oder oligosymptomatisch (mit wenigen Symptomen; Anm.)." So erfolgen offenbar 80 Prozent der Infektionen, ohne dass sich die Überträger überhaupt bewusst sein können, möglicherweise SARS-CoV-2-positiv zu sein.
Ob nun das Uralt-Malariamittel Chloroquin oder Enzymhemmer wie Remdesivir, Favipiravir, Lopinavir/Ritonavir bzw. der IL-6-Rezeptorblocker Tocilizumab (monoklonaler Antikörper aus der Polyarthritistherapie), die bisherige wissenschaftliche Evidenz stamme aus Labor- und Tiermodellen bzw. aus einzelnen Fallberichten. Zum Teil laufen bereits regelrechte klinische Studien.
Doch der Intensivmediziner ist skeptisch: "Hätten wir ein 'Wundermittel', wäre zu erwarten, dass man die entsprechende Studie schon bei einer Zwischenauswertung abbricht. Das war aber bisher noch bei einem Mittel der Fall." Werden in einer klinischen Untersuchung bezüglich der Wirksamkeit oder bei Nebenwirkungen schnell signifikante Ergebnisse sichtbar, wird sie normalerweise sofort beendet und danach entsprechend gehandelt.
Begrenzte Effekte
Wahrscheinlich, so Hasibeder, hätten die bisher bekannten potenziellen Covid-19-Therapieansätze am ehesten einen Effekt im noch moderaten Krankheitsstadium. "Patienten in einer schweren Phase der Erkrankung werden sie wahrscheinlich nicht mehr helfen." Dann handle es sich bei Covid-19 bereits um eine sehr ernste systemische Erkrankung mit zumeist schweren Entzündungsreaktionen und Schäden vieler Organe.