Für Österreichs Gletscher ist es zu spät
Von Axel Halbhuber
Jüngst häufen sich Meldungen über den Niedergang der Gletscher, gestern sorgte die Aussage des österreichischen Experten Georg Kaser von der Uni Innsbruck für Aufregung, wonach es „für die Gletscher fünf nach zwölf“ sei. Fazit seiner Studie: Selbst wenn wir sofort alle Treibhausgase abstellen könnten, würde ein Drittel der Gletschermasse abschmelzen.
KURIER: Herr Kaser, wenn es fünf nach zwölf ist, hat doch der Klimaschutz eh keinen Sinn mehr.
Georg Kaser: Die Aussage war missverständlich. Für viele Gletscher ist es tatsächlich fünf nach zwölf, jene in hohen Breiten und in großer Höhe sind weniger bedroht. Aber für niedrig gelegene Gletscherteile ist es zu spät und das sind 36 Prozent.
Können Sie uns diese Untersuchungsmethode erklären?
Man wollte in der Debatte zum Pariser Vertrag die Erderwärmung limitieren und uns Wissenschaftern wurde signalisiert: Findet schnell heraus, was passiert bei 1,5 Grad Erwärmung, was bei 2 Grad. Wir berechnen das lieber in Energieantrieb und der Differenz zwischen einkommender und ausgehender Energie, in der Einheit Watt pro . Unsere Untersuchung startet von der Annahme, das so genannte „heutige“ Klima – der Durchschnitt von 2006 bis 2015 – könnte erhalten werden. Das ist natürlich nur hypothetisch, aber wäre das möglich, würden trotzdem 36 Prozent des Gletschervolumens schmelzen bis sich ein Gleichgewicht einstellt. Wir haben den Zeitpunkt nicht berechnet, aber dieses Gleichgewicht würde nicht mehr in unserem Jahrhundert erreicht werden – da ist aber die Gefahr, dass Menschen denken: Das ist eh so weit weg, da werden die Wissenschafter schon irgendwas erfinden.
Österreichs Gletscher würden sogar beim hypothetischen Klimawandel-Stopp schmelzen?
Wir haben in der Studie bewusst nur das globale Ergebnis präsentiert, weil sich die Unsicherheit von 200.000 Einzelgletschern in der Summe teil weise aufhebt. Aber ja, in Österreich ist die Umgebungssituation so, dass die Gletscher – alle eher klein und mit geringer Höhenausdehnung – verloren gehen werden.
Kritiker halten gerne dagegen, dass manche Gletscher wegen des regionalen Klimas wachsen. Hätten Sie dieses Mikroklima nicht einbeziehen müssen?
Diese Gletscher können wir an zwei Händen abzählen. Berühmt ist der Perito Moreno in Südamerika, aber der wächst gar nicht, ihm wird nur immer wieder die Zunge weggerissen und die wächst nach. Dann gibt es noch wenige Gletscher im Karakorum, dort hat das mit dem Monsun zu tun, der durch den Klimawandel weiter hinaufstößt.
Fazit: Es ist unerheblich, ob man die Erderwärmung auf 1,5 oder zwei Grad festlegt?
Bei den Gletschern wird man den Unterschied bis 2100 nicht merken, 36 Prozent des gespeicherten Eises würden langfristig sogar ohne weiteren Ausstoß von Treibhausgasen schmelzen. Weil Gletscher eben sehr zeitverzögert reagieren. Um den aktuellen Umfang des Gletschereis-Bestandes zu erhalten, müssten wir ein Temperaturniveau aus vorindustriellen Zeiten erreichen, was natürlich nicht möglich ist. Aber bei unseren Modellen ist deutlich sichtbar, wie die Entwicklung in 40 Jahren bei Nichterreichen der Klimaziele massiv auseinandergeht.
Aber Sie sagen: „500 Meter Fahrt mit einem Mittelklasse-Auto kosten langfristig ein Kilo Gletschereis“ – da denkt sich doch jeder: eh schon wurscht.
Umgekehrt heißt das aber, dass man mit jeder kleinen Klimaschutzmaßnahme eben ein bisschen mehr Gletschereis übrig lässt. Es ist wie mit einem Konto: Wir haben Schulden und wenn wir keine neuen machen, haben wir zwar noch länger nichts vom Einkommen, aber die Schulden werden kleiner. Und es ist längst belegt, dass der Rückgang der Alpengletscher in den vergangenen 20 Jahren zu 100 Prozent anthropogen ist (menschengemacht, Anm.). Weltweit sind es rund 70 Prozent.