Forscher: Gletscherschmelze kann nicht mehr abgewendet werden
Das weitere Abschmelzen der Gletscher im laufenden Jahrhundert kann nicht mehr verhindert werden - selbst wenn alle klimaschädlichen Emissionen jetzt gestoppt würden. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der Universitäten Bremen und Innsbruck in einer aktuellen, im Fachjournal Nature Climate Change veröffentlichten Studie.
Im "Paris Agreement" einigten sich 195 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen auf die Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius, wenn möglich auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Die Risiken des Klimawandels sollen dadurch deutlich reduziert werden. Die Forscher berechneten nunmehr, welche Effekte die Einhaltung dieser Klimaziele auf die fortschreitende Gletscherschmelze hat.
"Schmelzende Gletscher haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Meeresspiegels. In unseren Berechnungen haben wir alle Gletscher weltweit - ohne die Eisschilde der Antarktis und Grönlands - berücksichtigt und in verschiedenen Klimaszenarien modelliert", erklärte Georg Kaser vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Uni Innsbruck, der zusammen mit seinem Kollegen Fabien Maussion sowie Ben Marzeion und Nicolas Champollion vom Institut für Geographie der Universität Bremen für die Studie verantwortlich zeichnete.
"Ein Drittel nicht mehr zu retten"
Für die Entwicklung der Gletscherschmelze in den nächsten 100 Jahren macht es laut Studie jedoch keinen signifikanten Unterschied, ob die Durchschnittstemperatur um 2 oder nur 1,5 Grad steigt. "Das spielt eine überraschend und auch frustrierend geringe Rolle - zumindest für das laufende Jahrhundert. Etwa 36 Prozent des heute noch in Gletschern gespeicherten Eises würde langfristig auch ohne weiteren Ausstoß von Treibhausgasen schmelzen. Das heißt: Gut ein Drittel des heute noch vorhandenen Gletschereises ist auch mit den ambitioniertesten Maßnahmen bereits nicht mehr zu retten", sagte Marzeion.
Aufgrund der langsamen Reaktion der Gletscher auf Klimaänderungen habe das Verhalten heute über das 21. Jahrhundert hinaus allerdings massive Auswirkungen: 500 Meter Autofahrt mit einem Mittelklasse-Fahrzeug kosten laut den Experten langfristig ein Kilo Gletschereis. Über das aktuelle Jahrhundert hinaus betrachtet, macht es daher durchaus einen Unterschied, ob nur das 2 Grad-Ziel oder das 1,5 Grad-Ziel erreicht wird.
"Gletscher reagieren langsam auf klimatische Veränderungen. Wenn wir beispielsweise den aktuellen Umfang des Gletschereis-Bestandes erhalten wollen würden, müssten wir ein Temperaturniveau aus vorindustriellen Zeiten erreichen, was natürlich nicht möglich ist. Wir haben in der Vergangenheit durch Treibhausgasemissionen bereits Entwicklungen angestoßen, die sich nicht mehr aufhalten lassen. Für die Gletscher ist es 5 nach 12. Das bedeutet aber auch, dass unser heutiges Verhalten Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung der Gletscher hat - das sollten wir uns bewusstmachen", betonte Gletscherforscher Kaser.
"Schlüssige Ergebnisse"
Die Ergebnisse der Studie führten indes bereits zu Reaktionen aus der Fachwelt. Christoph Schneider, Professor für Klimageographie an der Humboldt-Universität Berlin, nannte die Ergebnisse gegenüber dem deutschen Science Media Center "in sich schlüssig und solide". Die Studie ergänze das Verständnis zur globalen Reaktion der Gletscher außerhalb der großen Eisschilde auf den Klimawandel im 21. Jahrhundert. "Sie bildet aber keine argumentative Basis - und die Autoren halten sich diesbezüglich auch richtigerweise zurück - für Aussagen über die Notwendigkeit der Beschränkung der Klimaerwärmung auf die in Paris vereinbarten 'deutlich unter 2 Grad' Erwärmung", so Schneider.
"Das Neue an dieser Studie ist der Fokus auf die 1,5 Grad Celsius und 2 Grad Celsius-Szenarien", meinte indes Johannes Fürst von der Universität Erlangen-Nürnberg. In einer früheren Studie desselben Hauptautors sei schon darauf hingewiesen worden, dass die Gletscher im nächsten Jahrhundert hauptsächlich auf die bereits beobachtete Erwärmung reagieren werden. "In der neuen Studie wird diese Aussage mit einigen weiteren Zahlen untermauert", so Fürst. Den "wunden Punkt" der Studie würden allerdings die regionalen Unterschiede im erwarteten Gletscherrückzug bilden. Unberücksichtigt bleiben würden Faktoren wie Schuttbedeckung, Eisdynamik, Eisbergkalben, lokale Gegebenheiten der Sonneneinstrahlung sowie das lokale Mikroklima.