Die Außergewöhnlichen
Von Uwe Mauch
Der Kinder- und Jugendarzt schaut auf. Seine Patientin ist größer als er. Nach der Vermessung ihrer Körpergröße hält er fest: Sabrina Wimmer, 18 Jahre alt, exakt 189,7 cm groß, überdurchschnittlich groß.
Schmäh-Rufe könnten sie nicht aus der Fassung bringen, sagt die Wiener HAK-Schülerin . Tatsächlich wurde sie bis dato nie gehänselt. Geholfen hat ihr auch, dass ihre Eltern und ihre Cousinen ebenfalls überdurchschnittlich groß sind. Somit wurde Körpergröße in ihrer Familie nicht als Problem angesehen.
Doch nicht alle überdurchschnittlich großen (und kleinen) Kinder sind mit sich im Reinen. Das weiß auch der in Wien tätige Arzt Martin Wustinger.
Große Vorbilder
Wustinger leitet die Wachstumsambulanz im Donauspital in Wien-22 (auch als SMZ-Ost bekannt). Er ist nicht nur ein Experte auf dem Gebiet des Groß- und Kleinwuchses bei Kindern, er zeichnet sich auch durch seinen freundlichen Umgang aus.
Selbst Kinder und Eltern, die mit der Körpergröße arg hadern, kann der Experte beruhigen. Auch deshalb, weil die meisten Wachstumsprognosen Normalität versprechen. Oft kann Wustinger mit seinen Expertisen viel Druck von den Schultern der Eltern und den Seelen der Kinder nehmen. Viele fürchten sich vor einer Hormontherapie, doch die ist nur in den seltensten Fällen wirklich notwendig (siehe unten).
Manchmal gelingt es dem Arzt auch, Groß und Klein zu Scherzen zu bewegen. Wer will nicht wie der argentinische Fußballfloh Lionel Messi seine Gegenspieler narren! Und wer möchte nicht wie das deutsch-brasilianische Topmodel Gisele Bündchen überall herausragen, über die Laufstege schweben und vom Publikum dafür bewundert werden!
Kleine Auswahl
Doch nicht alle können Messis und Bündchens werden. Der Alltag ist nicht immer lustig, weiß die Vizeobfrau des Wiener Longinus-Clubs, Sylvia Murczek. Ihre Sorgen beginnen beim Kauf von Schuhen, die "ich ausschließlich in Deutschland kaufen muss", und enden bei einem King-Size-Bett, "das natürlich auch deutlich mehr kostet als die Betten der Normalgroßen".
Murczek selbst kommt gut mit ihrer Körpergröße zurecht . Doch sie hat bei vielen großen Menschen, vor allem bei jüngeren, die Haltung beobachtet, sich selbst klein zu machen und sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen. "Unserer Selbsthilfegruppe mangelt es allmählich an jungen Leuten."
Die Schülerin Sabrina Wimmer, deren Eltern auch Mitglieder beim Longinus-Club sind, will in Kürze die Homepage www.longinus.at attraktiver, zeitgemäßer gestalten. Ihre Mitarbeit im Longinus-Club ist somit auch ein Angebot für die Jungen.
Drei Prozent der Kinder werden als kleinwüchsig eingestuft (Mädchen mit 15 Jahren kleiner als 1,50 m, Burschen mit 15 kleiner als 1,62 m). Ebenfalls drei Prozent gelten als groß- oder hochwüchsig (Mädchen mit 15 größer als 1,80 m, Burschen mit 15 größer als 1,92 m). Kinder- und Jugendarzt Martin Wustinger rät Eltern, die verunsichert sind, einen Arzt zu konsultieren, betont aber auch, dass Klein- oder Großwuchs in den seltensten Fällen medizinisch bedenklich sei: "Es kann nicht sein, dass sechs Prozent der Kinder krank sind. Die meisten sind organisch gesund."
Zu einer Hormontherapie rät Wustinger nur in seltenen Fällen, etwa wenn er eine Mangelerscheinung, einen Wachstumshormonüberschuss oder eine syndromale Krankheit diagnostiziert.
Der Leiter der Wachstumsambulanz sagt zudem, dass sich das Wachstum im Jugendalter "konstitutionell" verzögern oder beschleunigen kann. Heißt in der Praxis: Die Kleinen schießen später als ihre Mitschüler, die Großen früher in die Höhe, doch am Ende erreichen alle Normalgröße. Ärztliche Endgrößenprognosen helfen in jedem Fall, Ängste zu reduzieren.