Erschöpfung: Einander nicht im Stich lassen
Die Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin Rotraud Perner spricht im KURIER-Interview über die Ursachen von Burn-out, Energieräuber und wie jeder Mensch rechtzeitig die Notbremse ziehen kann. KURIER: Sie sagen, Burn-out sei keine Krankheit, sondern eine gesunde Reaktion auf ungesunde Zustände. Flüchten wir uns in eine Phantomkrankheit, einen Modebegriff? Rotraud Perner: Für mich gibt es nur Energieverlust. Menschen, die ausgebrannt sind, haben keine Energie mehr. Ich halte Burn-out für ein Breitenphänomen. Und das liegt nicht an einzelnen Personen, sondern am gesamten Umfeld. Bei der jetzt grassierenden Epidemie geht es um die allgemeine Erschöpfung durch Überforderung der Menschen, da nötige Ruhepausen zunehmend fehlen. Die totale Erschöpfung ist ein Folgeschaden davon. Warum? Es wird erwartet, dass man seine Leistung ununterbrochen steigert. Ich unterstelle, der Zeitdruck von heute ist dazu da, damit die Leute nichts mehr spüren. Wir verstehen im Bezug auf unsere Arbeitswelt aber nicht, was etwa in der Natur selbstverständlich ist: Eine Frau kann nicht ununterbrochen Kinder gebären. Ebenso wird ein Feld nicht ständig bewirtschaftet, das lässt man auch einmal brach liegen.Burn-out wird zum Teil als Beweis für besonders hohen beruflichen Einsatz gewertet. Die Diagnose verhilft zu einer Auszeit aus dem beruflichen Dilemma. Es ist aber wiederum eine Reduzierung auf nur einen Fokus. Die Auslöser bleiben. Denn die totale Überforderung ist auch eine Folge unserer großen Kooperationsbereitschaft. Wenn Leute krank arbeiten statt daheim gesund zu werden, ist das ein Rückschritt. 100 Jahre wurde dafür gekämpft, dass sich kranke Arbeitnehmer auskurieren können! Wie kann ich im Alltagsdruck gegensteuern? Druck im Beruf erzeugt Ängste. Man sollte genau hinschauen: Was zwingt mich zur Anspannung? Wo sind meine Energieräuber? Was erschöpft mich jetzt konkret so sehr? Um das herauszufiltern, frage ich meine Klienten: "Wenn Sie einen Zauberstab hätten, welche drei Dinge würden Sie sofort ändern?" Die Antworten sind immer ähnlich: Eltern, Partner, Chefs.Das sind aber Bereiche, die ich nur teilweise beeinflussen kann. Man müsste schon bei kleinen Kindern ansetzen. Unsere Gesellschaft muss sich fragen, welche Menschen wir wollen: Gefühlsarme Durchsetzer oder empathische, solidarische Menschen? Ich glaube, es geht darum, einander nicht im Stich zu lassen. Es kann nicht die Lösung sein, noch härter zu werden. Wir sind noch immer vom "militärischen" Erziehungsmodell geprägt. Die weit verbreitete Einstellung, man müsse alles "aushalten", also stärker als die Umstände sein, ist symptomatisch dafür. Dazu kommt die österreichische Eigenheit, die Arbeit von anderen schlecht zu machen – im Sinne von: "Was ist das denn schon."
Mehr und weniger belastbare Menschen gab es doch immer schon. Natürlich. Die Dosis, die ein Mensch aushält, ist unterschiedlich. Im Gegensatz zu früher erscheint es mir wichtig, besser auf sich aufzupassen und sich immer wieder zu fragen, wie viel man selbst aushält. Mir geht es darum, das Bewusstsein zu fördern, wann etwas zu viel wird – Stichwort ständige Verfügbarkeit. Man sollte sich nicht einreden, durch Zukauf technischer Mittel das eigene Potenzial unbegrenzt erweitern zu können. Es gilt auch, die Selbstliebe zu pflegen. Im Prinzip wissen wir ja, wie es geht: Wenn ein Ofen gut brennen soll, muss ich darauf achten, dass er sauber und gut entrußt ist. Nur bei uns selbst glauben wir, regelmäßige Seelenhygiene sei nicht notwendig.Sie sprechen viel davon, was jeder Betroffene selbst verändern kann. Aber was ist mit den Arbeitgebern? Selbstverständlich sind diese gefordert. Um Geld einzusparen, wird in den Unternehmen der Druck erhöht. Dadurch riskiert man vielfach lieber ausgebrannte Mitarbeiter. Respektvolle Feedbacks sind wichtig. Wir müssen uns gegenseitig an der Basis unterstützen. Das geht nur mit gegenseitigem Respekt.
Burn-out: Noch mehr Strategien dagegen
Beilage In Kooperation mit den Wiener Vorlesungen erscheint am Donnerstag, 2. Februar eine KURIER-Beilage in der Reihe "Kontroversen zum Leben" über das Thema Burn-out.Buch Rotraud A. Perner, Der erschöpfte Mensch, Residenz-Verlag, 21,90 €.Das Buch wird am 31. Jänner in der Wiener Buchhandlung Thalia (6., Mariahilferstraße 99, 19 h, Eintritt frei) präsentiert.
Vorträge in NÖ Die NÖ Gebietskrankenkasse veranstaltet von Februar bis April 2012 in allen 21 niederösterreichischen Bezirken unter dem Titel "Modediagnose Burn-out?" Vorträge mit der Stressexpertin Rotraud Perner. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung jedoch erforderlich. Nähere Infos gibt es in allen NÖGKK-Stellen, unter der Hotline 05 0899-6100 oder im Internet unter www.noegkk.at
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