Alzheimer: Umgang ist so wichtig wie Heilung
Von Axel Halbhuber
Der Zugang in der Medizin hat sich schon oft geändert, ebenso die Prioritäten der Gesundheitssysteme. Nicola Bedlington ist Generalsekretärin des European Patients’ Forum (EPF) und sieht am Beispiel Demenz, dass wieder ein Paradigmenwechsel nötig wäre: Die Krankheit zeigt uns die Grenzen einer Gesellschaft auf, die immer nach Heilung strebt. Bei Alzheimer müssen wir uns aber mehr auf das „Caring“ (Pflege) konzentrieren, fordert Bedlington.
Wie das genau funktionieren kann, erklärte sie dem KURIER im Rahmen der Rote Nasen-Gesundheitskonferenz in Wien.
KURIER: Alzheimer und andere Demenzerkrankungen gelten als künftig größtes Gesundheitsproblem. Stimmen Sie zu?
Nicola Bedlington: Es wird nicht unser einziges Problem sein, aber es ist ein echtes Kernthema. Daher arbeiten wir mit „Alzheimer Europe“ (www.alzheimer-europe.org) an höherer Aufmerksamkeit dafür. Alzheimer (die häufigste Demenz-Form, Anm.) verschlimmert sich für den Patienten durch mehrere Umstände – etwa fehlenden sozialen Umgang oder falsche Betreuung. Es gibt auf diese Probleme keine einfache Antwort, es passiert dazu viel Arbeit und Forschung, aber es könnte noch mehr sein.
Ist der Aufbau unserer Gesundheitssysteme für den richtigen Umgang mit solchen Krankheiten hinderlich?
Es bessert sich diesbezüglich viel. Einerseits, weil mit der demografischen Entwicklung die Finanzierbarkeit zum Thema wird, andererseits durch die Möglichkeiten, aber auch Risiken der Digitalisierung auch bei Gesundheitsfragen. Die Intensität der Patientenbeteiligung ist aber noch immer unterentwickelt, das sehen wir besonders bei Demenz. Gerade darin würden Lösungen für viele der Probleme liegen. Ein mündiger Patient ist stärker in der Lage, bei seiner Behandlung zu helfen und das System zu entlasten, weil er es versteht. Und weil er seine Gesundheit ernst nimmt.
Bei Alzheimer braucht es darüber hinaus auch eine stärkere Unterstützung für Angehörige im Umgang mit Patienten.
Der Patient muss der Mittelpunkt des Systems sein, auch das wird besser. Und ja, das muss auch stärker die Umgebung des Patienten betreffen. Wichtig bei nicht heilbaren Krankheiten ist, der Patient soll möglichst noch am sozialen Leben teilnehmen, soll arbeiten gehen können, sich bilden können. Das alles ist Teil unserer Bemühung: Wir müssen wieder mehr die Person sehen und nicht die Krankheit dieser Person.
Das betrifft besonders Demenzpatienten. Aber unsere Gesellschaft will Probleme lösen, nicht mit ihnen umgehen.
Es gibt eben Patienten mit Beschwerden, die wir nicht heilen können. Da muss es stärker um den richtigen Umgang gehen. Wir dürfen nicht nur auf die Innovationen in der Therapie schauen, sondern müssen auch jene im sozialen Bereich wie der Pflege im Auge haben. Wir müssen Krankheiten managen können, das Leben mit Krankheit managen können.
Da fehlt uns oft die Messbarkeit. Unser System liebt messbare Ziele – Problem erkannt, Problem gelöst, Check.
Es ist kein Entweder-oder, sondern eine Ergänzung. Die Systeme müssen unter dem Strich liefern, was Patienten wirklich brauchen. Manchmal sind die Dinge, die wir messen können, die falschen Indikatoren. Es ist wichtig, den Patienten zuzuhören, sie liefern uns durch ihre Erfahrungen und kleine Beobachtungen viele qualitative Indikatoren.
Info: European Patients Forum (EPF)
Die Dachorganisation von Patienten-Organisationen arbeitet als unabhängige NGO eng mit EU, Regierungen und internationalen Verbänden zusammen. Das EPF vertritt so 150 Mio. Patienten und finanziert seine Arbeit über projektbezogene EU-Förderungen und Partner in der Gesundheitsindustrie. Infos und Offenlegung der Partner auf www.eu-patient.eu