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Ärzte als Streetworker

An Wiens trostlosem Stadtrand werden Menschen medizinisch versorgt, denen sonst nicht geholfen wird. Sie sind nicht krankenversichert, in der AmberMed-Ambulanz in der Oberlaaer Straße macht das aber nichts. Seit genau zehn Jahren besteht das Projekt des Diakonie Flüchtlingsdienstes als Kooperation mit dem Österreichischen Roten Kreuz. Und die Einrichtung wird gebraucht: Gesundheit ist zwar Menschenrecht, aber der Zugang auch in Österreich keine Selbstverständlichkeit.

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Die Leiterin von AmberMed, Carina Spak, erläutert die Notwendigkeit: „Menschen, die zu uns kommen, leben oft in Verhältnissen, die das Gesundwerden erschweren oder verhindern. Man muss jemanden gesund machen, damit er sich helfen kann.“ Spak sitzt im Aufenthaltsraum mit Mitarbeitern und Ärztinnen zusammen. Die Stimmung im Team ist merklich gut, obwohl alle ein harter Fall beschäftigt: Man wird heute einer Patientin sagen, dass sie HIV-infiziert ist. Dass ihr Ehemann und ihre beiden Kinder getestet werden müssen, weil in ihrem Herkunftsland Bulgarien während der Schwangerschaften kein Aidstest gemacht wurde. Das ungeborene dritte Kind der HIV-Infizierten Mutter wird „unbehandelt“ wahrscheinlich infiziert geboren werden. Bei Behandlung der Mutter bzw. einem Kaiserschnitt würde das Kind gesund geboren werden.
Motiv AugenhöheDer Fall sorgt auch die Frauenärztin Monika Matal, die ehrenamtlich die ärztliche Leitung von AmberMed leistet. Ihr soziales Engagement empfindet sie nicht als außergewöhnlich: „Ich zapfe für AmberMed immer wieder persönliche Netzwerke an, frage befreundete Kollegen, ob ich einen Patienten in ihrer Praxis vorbeischicken kann. Und bis jetzt hat keiner Nein gesagt.“ Kinderärztin Sylvia Stein-Krumholz stimmt ihr zu: „Unter Ärzten gibt es viele kleine AmberMeds, die Nichtversicherte behandeln. Wir haben ja einen Eid geschworen, ohne Blick auf Herkunft zu helfen.“ Hier seien sie eben medizinische Streetworker.
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Matal ist dankbar für ihre Tätigkeit hier, weil sie „eine starke Augenhöhe mit Patienten spürt“. Fachlich sind die Mediziner stärker auf das klinische Bild eines Patienten angewiesen als auf Worte. Zwar stellt die Ambulanz Übersetzer, aber Kontakt und Untersuchung zählen mehr.
Auch Internist Michael Nebehay fühlt sich hier als Arzt sehr gefordert: „Es ist ganz anders als das, was ich gewohnt bin. Man hilft Menschen, die wirklich bedürftig sind, weil sie aufgrund ihres Status ständig in Angst leben. Das hier ist eine Insel für sie.“ Als besonderes Engagement sieht auch er es nicht, „weil ich ja so viel lerne“, sagt Nebehay und wendet sich dem Schwarzen zu, der dankbar dafür ist, dass er einem Arzt auf Französisch erklären kann, was schmerzt.
Die Herzlichkeit bei AmberMed holt Menschen ab, im Aufenthalts- wie im Warteraum. Matal erinnert sich an eine schwangere Migrantin, die ihr zum Dank eine Orange schenkte. „Natürlich gibt es Sozialschmarotzer, aber die Mehrzahl ist es nicht. Wir legen einer Patientin nahe, in ihrem Heimatland zu entbinden, wenn sie dort versorgt wird.“ Es sei eine Verantwortung zu entscheiden, wer die Hilfe dringend braucht. Leiterin Carina Spak: „Wir geben ja Sach- und Zeitspenden weiter. Dazu gehört, mit Ressourcen gut umzugehen.“ Damit Kranke wieder auf eigene Beine kommen. „Für mich ist es am schönsten, dass höchstens fünf Patienten unsere Hilfe brauchen, die vor fünf Jahren schon da waren.“