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200 Daten aus einem Tropfen Blut

Elizabeth Holmes lächelt nicht oft. Dabei hätte sie gute Gründe. Die 31-Jährige ist die jüngste Selfmade-Milliardärin der Welt und dabei, die Medizin zu revolutionieren: Die Entwicklung von einfachen, billigen und schnellen Bluttests soll eine individuellere Medizin ermöglichen. Was Zuckerbergs Facebook für Social Media und Jobs’ Apple für Computer waren, könnte Holmes’ Unternehmen Theranos für das Gesundheitswesen werden.

Als sie jüngst per YouTube-Video den Bluttest präsentierte, drang doch ein Lächeln an die Öffentlichkeit. Ihre tiefe Stimme, die bei der schlanken Blonden überrascht, klingt aufgeregt, während ihr ein Blutstropfen entnommen wird: „Am meisten liebe ich an unseren Tests, dass es nicht wehtut.“

Beim Theranos-Test sticht eine sehr feine Nadel in den Finger, der Tropfen kommt in ein 1,29 Zentimeter großes Gefäß. Das entspricht einem Tausendstel der Blutmenge, die derzeit nötig ist. Binnen weniger Stunden werden aus dem Tropfen 200 Werte ermittelt. Rund drei Viertel aller medizinischen Entscheidungen werden auf Basis von Labordaten getroffen. Holmes Ansatz: Häufige und schnelle Diagnosen ermöglichen genauere und effektivere Therapie. Weniger schmerzhafte und billigere Bluttests mit schneller Rückmeldung an Patient und Arzt lassen Diagnose und Therapie verschmelzen.

Der Firmenname Theranos setzt sich aus dem englischen therapy und to diagnose zusammen.

Holmes bietet den Test in Drogeriemärkten an: „Wir halten es für ein Bürgerrecht, dass jedem seine Blut-Informationen zugänglich sind.“ Solche Sätze sagt sie stets unaufgeregt. Sie wirkt kühl, aber glaubwürdig. Und Holmes Reputation ist wichtig. Nur so überlebt man im Biotech-Segment, dem immer wieder unethische Praktiken und Bereicherung mit den Sorgen der Menschen unterstellt werden.

Märchen & NadelangstDa kann es nicht schaden, wenn die wenigen Informationen, die über die Firmengründerin preisgegeben werden, ein wenig nach Märchen klingen: Die 1984 geborene Holmes fand als Kind auf dem Dachboden die Biografie ihres Ururgroßvaters. Christian R. Holmes, der Erste, war Chirurg, Erfinder und Kriegsveteran, später Universitätsrektor. Seine Lebensgeschichte weckte das Interesse von Elizabeth Holmes an Medizin. Schon als Kind hatte sie große Angst vor Nadeln. Damit begründet sie den Drang, ein neues Testverfahren zu erforschen. Und weil ihr Vater Christian Holmes, der Vierte, für eine US-Behörde oft in China arbeitete, lernte die kleine Elizabeth ein wenig Mandarin und verbrachte einige Teenager-Jahre in China. Nach dem Schulabschluss ermöglichte ihr die Mandarin- und China-Kenntnis ein Praktikum in Singapur, Bereich Mikrobiologie. Sie hatte nur Grundkenntnisse in Biologie, entdeckte aber schnell, dass die Vorgehensweisen der Mikroforschung zur Blutanalyse genutzt werden könnten. Damit begründete sich ihr Erfolg.

Sie beginnt zwar 2002 ein Studium des „Chemical Engineering“ in Stanford, im zweiten Jahr eröffnet die 19-Jährige aber ihrem Professor Channing Robertson die Idee eines tragbaren medizinischen Gerätes, das minütlich Blutwerte und die genaue Wirkung eines verabreichten Medikaments misst. Robertson ist von ihren Unterlagen begeistert. Heute sagt er: „In über 30 Jahren Lehrtätigkeit hatte ich noch keinen Studenten, der so anders war. Ihre frische Art, ein komplexes technisches Problem zu betrachten, war einzigartig.“ Auch wegen seiner Bestätigung bricht Holmes die Uni ab und steckt ihr Ausbildungsgeld in die Gründung von „Real-Time Cures“. Firmensitz wird das ehemalige Facebook-Gebäude im kalifornischen Palo Alto, Silicon Valley. Aus „Real-Time Cures“ wird später Theranos, aus Professor Robertson der erste Firmendirektor.

Extreme Abschottung

Heute, elf Jahre später, hält Theranos 18 US- und 66 weltweite Patente, bietet Analysen von 200 Blutparametern an, hat Zulassungen für alle US-Bundesstaaten, 500 Mitarbeiter und einen Firmenwert von 9 Milliarden US-Dollar. Holmes gehören 50 Prozent, 4,5 Milliarden Vermögen sicherten ihr kürzlich Platz 360 auf der Forbes-Liste der reichsten Personen der Welt.

Aber mit dem Erfolg kam die absolute Abschottung. Holmes spricht nur als Lektorin in Stanford und bei ausgewählten Podiumsbesuchen. Nüchtern wie ihr Auftreten sind die Theranos-Antworten auf Anfragen: „Wir stehen zum jetzigen Zeitpunkt nicht für Interviews zur Verfügung und geben keine Informationen außer jenen auf unserer Website.“

Niemand redet gerne darüber, wenn er das Ei des Kolumbus entdeckt hat. Es geht um viel Geld. Chinesische Biotech-Unternehmen würden das Zehnfache des Firmenwerts für einen Blick auf die Geräte bezahlen, die binnen Stunden komplizierte Werte aus einem Blutstropfen ermitteln. Holmes betont die Notwendigkeit absoluter Geheimhaltung: „Vertraulichkeit ist die Essenz unserer Existenz. Wir werden alles tun, um die eigenen Erkenntnisse zu schützen.“ Der Firmensitz ist streng bewacht, Presse darf nie hinein, die Website verrät nichts über die Methoden. Behörden und Makler mussten bestätigen, nichts über Mietverträge zu sagen. Kein großes Schild verrät, wer in den Gebäuden arbeitet.

Seit einem Gerichtsverfahren gegen drei Ex-Mitarbeiter wegen „unangemessener Weitergabe von Informationen“ sprechen weder aktuelle noch ehemalige Mitarbeiter, weder Eingeweihte noch Investoren.

Nähe zum Militär

Wer im Schatten operiert, wird aber leicht für eine dunkle Gestalt gehalten. Dass Theranos nicht als dubios gilt, liegt an Holmes’ Vorgehensweise. Sie lukrierte von Beginn an Hunderte Millionen von anerkannten Sponsoren wie Larry Ellison. In Firmengremien sitzt nicht nur ihr Bruder Christian Holmes, der Fünfte, sondern namhafte Ex-Militärs und Ex-Politiker, allen voran die ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz. Die Nähe zu Diplomatie und Militär sorgt zwar für die Spekulation, Theranos arbeite auch an Kriegsprodukten, aber mit diesem Vorwurf wird irgendwann fast jedes Biotech-Projekt in den USA konfrontiert.

Dem Image hilft, wenn honorige Menschen wie George Shultz sagen: „Holmes überzeugt mich. Ihr Projekt ist eine Mission, die mich begeistert. Sie will die Welt verbessern.“

Sie selbst betont, dass sie die Idee immer wieder verfolgen würde, um den Zugang zu Blutwerten zu erleichtern. Jüngst fügte sie bei einer Vorlesung in Stanford hinzu: „Ist man selbst so überzeugt, geht es einem nicht mehr um Geld, Ansehen oder Titel.“

Da war es wieder, das seltene, öffentliche Lächeln.

Derzeit wird das Theranos-Testverfahren in wenigen Walgreens-Drugstores, dem führenden US-Drogeriemarkt, angeboten, soll aber auf möglichst alle der 8200 Filialen ausgedehnt werden. Dabei wird zunächst ein Finger in warme Kompressen gelegt, um die Blutzirkulation zu fördern, ein kleiner Stich in den Finger, dann wird etwas Blut aus dem Finger gepresst. Die Ergebnisse kommen wenige Stunden später, auf Wunsch direkt zum Arzt oder in die Klinik.

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Die Forschung von Theranos soll einerseits den herkömmlichen Bluttest verfeinern. Also aus weniger Blut schneller genauere Daten zu ermitteln. Durch die weniger invasive Methode würden sich mehr Menschen regelmäßiger testen lassen, hofft Gründerin Elizabeth Holmes.

Andererseits entwickelt Theranos eine neue Art der Analyse: Bei komplizierten Test (z.B. Viren, Bakterien) werden nicht wie üblich Kulturen angelegt, sondern die DNA des Erregers analysiert.

Die Tests sollen weniger als die Hälfte der derzeitigen Tarife kosten, die Preise finden sich auf der Websitewww.theranos.com: Blutgruppe 2,05 US-Dollar, Cholesterin 2,99, Eisen im Blut 4,45. Theranos behauptet, wenn alle Tests in den USA nach diesem Schema gemacht werden, würde man im Gesundheitswesen in zehn Jahren rund 200 Milliarden Dollar sparen.