Zalando wirbelt Mode-Zirkus neu auf
Von Simone Hoepke
Blitzlichtgewitter, obwohl weit und breit kein Promi zu sehen ist. Das ist Alltag in einem Nebengebäude am Berliner Ostbahnhof, in dem Zalando eines seiner "Hubs" aufgeschlagen hat. Wo früher Züge ein- und ausfuhren, werden jetzt Kleiderständer hin- und hergeschoben. Mit Pullis, Jacken und Kleidern, die demnächst auf die Homepage kommen. 1000 Kleidungsstücke lässt Zalando pro Tag fotografieren – aus sieben Perspektiven.
Im Gebäude reiht sich eine Koje an die nächste. In jeder steht ein Modell, dass stundenlang in immer anderen Outfits posiert. Danach wandern die Kleider an die andere Seite der Halle, wo die Eckdaten – von Pflegehinweisen bis zur Rückenbreite in die Computer geklopft werden. Insgesamt 120 Leute sind damit beschäftigt, die Artikel auf der Homepage up to date zu halten.
Mode und Technik
Was auf die Homepage kommt, wurde in einem anderen Teil der Stadt entschieden. Im Berliner Szene-Viertel Friedrichshain, in einem alten Fabrikgebäude, das Zalando von der Immobiliengesellschaft des ehemaligen Karstadt-Eigentümers Berggruen gemietet hat. Dort sind 700 Mitarbeiter in Großraumbüros mit dem Design der 15 Zalando-Marken und vor allem mit dem Einkauf der Markenartikel, die die Industrie in den Markt pressen will, beschäftigt. Alle sind per du – der Altersdurchschnitt der Belegschaft liegt bei 30 Jahren. "Nicht nur das Unternehmen ist älter geworden, auch wir", sagt ein Mitarbeiter und greift nach seiner Wasserflasche, die das Zalando-Logo trägt. Solche Flaschen sieht man auf fast jedem Schreibtisch. "Bekommt man am ersten Arbeitstag", sagt ein Mitarbeiter.
Rafael hat nicht Modedesign, sondern Politikwissenschaft und Betriebswirtschaft studiert. Beides hat mehr mit Mode zu tun, als man denken würde. "Trends kommen oft aus Kultur, Sport und Wirtschaft", sagt er. Nach Ausbruch der Finanzkrise seien Gold und Silber wieder in Mode gekommen, "wohl als Kompensation für das viele Geld, das viele verloren haben".
Apps als Motor
Wohin der technologische Trend geht, verfolgen weitere rund 700 Zalando-Mitarbeiter an einem anderen Standort in Berlin, dem Tech-Hub. "Durchschnittlich 100-mal am Tag schaut ein Kunde aufs Smartphone", sagt Christoph vom Tech Team. "Da müssen wir reagieren. Niemand will am Smartphone 2000 Paar Schuhe durchklicken." Der Handelsplatz der Zukunft wird das App sein, ist er überzeugt.
Liegt er richtig, werden Kunden etwa eine Hose fotografieren, die jemand in der U-Bahn trägt und von der App wissen, wo es diese gibt. Oder zumindest ähnliche Modelle und vergleichbare Marken. Gearbeitet wird auch an Apps, denen man das Gesuchte diktieren kann. Am liebsten wäre den Zalandos überhaupt, wenn sie eine Datenbank aufbauen könnten, die immer wüsste, was welcher Händler verfügbar und in welcher Zeit zustellbar hat.
Dass alle kaufen werden, was Zalando vorschlägt, glaubt nicht mal Zalando. Deswegen hat das Unternehmen, das mit dem Slogan "Schrei vor Glück" groß geworden ist, nun ein neues Motto ausgerufen: "Weniger schreien, andere mehr ins Scheinwerferlicht rücken." Das heißt im Wesentlichen, dass künftig andere für Zalando schreiben sollen. Etwa Modeblogger oder Stylisten.
Kleines Start-up war gestern. David Schneider (32) hat 2008 gemeinsam mit seinem Freund Robert Gentz in einer Berliner WG mit dem Versand von Flip-Flops begonnen. Die Geburtsstunde des Versandhändlers Zalando, der aktuell in 15 Ländern aktiv ist. Binnen sieben Jahren ist das Unternehmen zu einem Konzern mit 2,2 Milliarden Umsatz gewachsen. Ende des Jahres wollen Schneider und seine beiden Vorstandskollegen 10.000 Leute beschäftigen, 2000 mehr als im Jahr zuvor. Schneider im KURIER-Gespräch über eine Branche, die sich ständig neu erfinden muss.
KURIER: Sie haben 150.000 Artikel im Online-Shop. Wie viel davon produzieren Sie selbst?
David Schneider: In den vergangenen Jahren haben unsere Eigenmarken etwa 10 bis 20 Prozent vom Umsatz ausgemacht. Wir wissen, was unsere Kunden klicken, kaufen und retournieren. Dieses Wissen nutzen wir auch für die Entwicklung von exklusiven Linien, die wir gemeinsam mit Marken entwickeln.
Zum Beispiel?
Bei Schuhen kennen wir uns richtig gut aus. Jetzt designen wir mit der dänischen Kette Only gemeinsam eine exklusive Schuh-Linie. Unser Ziel ist es aber nicht, besonders viele Eigenmarken anzubieten.
Der Großteil kommt aus unseren Logistikzentren. Wir haben stark in die Prozesse investiert und das Know-how für die Belieferung von 15 Märkten aufgebaut. Dass zuerst alles zu uns kommt, ist effizient, weil Kunden ja mehrere Marken auf einmal bestellen. Mittlerweile binden wir Marken aber auch an. Mango liefert zum Beispiel direkt aus.
Kann ein kleiner Händler im Online-Geschäft überhaupt noch mitspielen, oder sind die Investitionskosten viel zu hoch?
Schwer. Das Logistikmanagement und die Retouren-Abwicklung sind sehr aufwendig. Und die Länder ticken sehr unterschiedlich. Wir bieten allein etwa 20 Zahlungsmethoden in unseren 15 Ländern an. Die Entwicklung geht rasch weiter. Mittlerweile kommen mehr als 50 Prozent der Besuche über Smartphones auf unsere Seite – da müssen Apps entwickelt werden, und die müssen gut sein. Der Kunde nutzt durchschnittlich 15 Apps auf dem Smartphone, und wir wollen unter den beliebtesten sein.
Zalando hat mehr als 700 Mitarbeiter allein in der Technik. Klingt, als würden nur die Großen mitspielen können ...
Wir wollen die kleinen Brands und Anbieter mit uns vernetzen.
Klingt nach einem weiteren Geschäft für Sie ...
... und einer Möglichkeit für Ladenbesitzer, wieder mehr Leute ins Geschäft zu bekommen. Smartphones bringen uns da ganz neue Möglichkeiten.
Was schwebt Ihnen vor?
Wenn man weiß, wo der Kunde sich aufhält und welche Marken er kauft, kann man ihn gezielt auf Geschäfte in seiner Nähe aufmerksam machen, die diese Marken führen.
Ferne Zukunftsmusik?
Klingt so. Aber vor fünf Jahren haben wir auch noch nicht geglaubt, dass jemand mit dem Smartphone einkaufen wird ...