Wirtschaft

Massenquartiere und "Bettgeher" in Wien erwartet

Die Lage am Wiener Wohnungsmarkt spitzt sich zu. Hat es die Stadt schon in den vergangenen Jahren nicht geschafft, für den "normalen Zuzug" genügend Wohnungen zur Verfügung zu stellen, scheint sie mit dem aktuellen Flüchtlingsstrom in einen dramatischen Engpass zu steuern.

"Außergewöhnlicher Notstand"

"Es kündigt sich ein außergewöhnlicher Notstand am Wohnungsmarkt an", warnt Hans Jörg Ulreich, Bauträger-Sprecher in der Wirtschaftskammer Österreich und Chef der Ulreich Bauträger GmbH, im Gespräch mit dem KURIER. 25.000 bis 30.000 (netto; unter Abzug der Abwanderung) Menschen kämen seit Jahren jährlich nach Wien. Dazu kämen jetzt noch die anerkannten Asylwerber, die Wohnungen bräuchten. "Die Politik ist aufgefordert, etwas zu tun. Nur schreien, die Mieten sind zu hoch und Schiedsstellen zu schaffen, bringt noch keine Wohnung", kritisiert Ulreich. Geschehe nichts, werde es wieder Massenquartiere oder Bettgeher wie vor 100 Jahren geben.

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Ulreich fordert dringend eine Änderung der Flächenwidmung. Denn der aktuelle Wiener Widmungsplan hänge an der Bevölkerungsprognose von Anfang der 1980er-Jahre. Demnach sollte Wien 2030 rund 1,3 Millionen Einwohner haben. Tatsächlich aber strebe die Stadt auf die Zwei-Millionen-Grenze zu. "Wir müssen die Widmungen so ändern, dass dichter und höher gebaut werden kann", betont Ulreich. Innerstädtisch gebe es viel Platz nach oben.

Mietrecht öffnen

Die zweite Schraube, an der die Wohn-Politik drehen müsste, sei das Mietrecht. "Wir brauchen eine Deregulierung, damit leer stehende Wohnungen auf den Markt kommen, und damit investiert wird", sagt der Branchensprecher. Geld sei genug da, aber es werde zurückgehalten. "Ich als Bauträger habe zum Beispiel das Problem, dass ich von der Bank keine Finanzierung für Sanierungen bekomme, wenn ich nicht nachweisen kann, dass ich das Geld innerhalb von 25 Jahren verdienen kann", erklärt Ulreich. Mit dem geltenden Mietrecht aber sei das nicht möglich. Kein Wunder, dass die Sanierungsrate falle. Ulreich fordert die Freigabe von Mieten für gut sanierte Wohnungen. Problematisch findet Ulreich auch, dass das Mietrecht mit den vielen Auf- und Abschlägen zu unklar sei. Zwölf Prozent der Mieten würden daher vor Gericht bekämpft. "Die Wohnungseigentümer brauchen aber Sicherheit, um zu vermieten", sagt Ulreich. Nur mit staatlichen Förderungen sei der Wohnungsmangel nicht zu beheben.

Thermische Sanierung

Die Kürzung der Förderung fürs Energiesparen ist für Ulreich ein Zeichen dafür, wie gering Anreize für Sanieren mittlerweile sind. Nur noch 43 Millionen Euro statt der 80 Millionen im laufenden Jahr gibt es für all jene, die ihre Wohnung oder ihr Haus auf "energiesparend" umgestalten. Die Kürzung ist Ausfluss des Sparprogramms von Umwelt- und Wirtschaftsministerium, die diese Förderung zahlen. "Die Bauwirtschaft muss aber nicht mit einer Auftragsdelle rechnen", betont Volker Hollenstein, Sprecher des Wirtschaftsministerium. Denn die geplante Wohnbauoffensive und bestehende Förderungen der Länder würden Sanierung und Neubau unterstützen. Ulreich ruft die Politik dennoch zu einem klaren Bekenntnis für mehr Wohnbau auf. "Ich hoffe, dass Wiens Bürgermeister Häupl tätig wird." Zusätzlich zu neuen Widmungen sei eine Straffung der Bauverfahren und eine Durchforstung der Bau-Auflagen nötig. Besonders im geförderten Wohnbau würden die vielen Vorschriften zu Zusatzkosten führen, die sich in den Mieten niederschlagen. Die Regulierung müsse unter Kostenaspekten gesehen werden.

Der "Pfusch" am Bau nimmt dramatisch zu. Damit ist aber nicht Schwarzarbeit gemeint, sondern gravierende Baumängel. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Kreutzer Fischer und Partner (KFP) musste bei 99 Prozent aller Neubauprojekte zumindest ein Mangel behoben werden. KFP hat 2015 insgesamt 476 Bauvorhaben – 196 Neubauten, 280 Renovierungsprojekte – untersucht.

Bei Renovierungsprojekten waren die Mängel nicht so häufig. Aber bei etwas mehr als zwei Drittel aller Projekte wurde zumindest ein Baumangel gefunden. Insgesamt waren 70 Prozent aller Projekte mangelhaft, 2008 waren es noch 65 Prozent.

Hoher Kostendruck

Als Grund für die zunehmenden Mängel ortet KFP-Geschäftsführer Andreas Kreutzer den steigenden Preis- und Kostendruck in der Branche. Auf den Baustellen müsse die Arbeit immer schneller erledigt werden, ohne dass im Gegenzug der Maschineneinsatz oder die Vorfertigung im selben Ausmaß steigt. Zum anderen fehle es immer öfter an qualifizierten Arbeitskräften.

Die KFP-Studie stellt auch ein eindeutiges Ost-West-Gefällt fest. Während in Wien bei 83 Prozent aller untersuchten Bauten Mängel diagnostiziert wurden, waren es in Vorarlberg und Tirol mit 62 Prozent deutlich weniger. Die meisten Mängel gab es im Innenausbau, gefolgt von den Leistungen der Installateure und der Baumeister.

Trotz lauter Rufe nach leistbarem Wohnen setze die Politik keine Anreize zum Investieren, kritisiert der Österreichische Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI). Stattdessen gebe es steuerliche und finanzielle Belastungen.

Die Immobilienwirtschaft müsse als Financier der Steuerreform herhalten, ärgert sich ÖVI-Geschäftsführer Anton Holzapfel. Die erst 2012 eingeführte Immobilienertragsteuer werde von 25 auf 30 Prozent erhöht und auch die neue Regelung für Abschreibungen bringe Verschlechterungen. Die Wohnrechtsnovelle 2015 habe bereits die Erhaltungspflichten der Vermieter erheblich erweitert. Nun drohe noch ein "dynamischer Erhaltungsbegriff" den Vermieter noch mehr in die Pflicht zu nehmen. In den Mieten dürfe sich das aber nicht niederschlagen. Kritik übt der ÖVI auch an der Treffsicherheit im sozialen Wohnbau. Die kommunale Wohnungsvergabe müsse überprüft werden.