Wie schlimm ein "Öxit" wirklich wäre
Von Anita Staudacher
Was wäre, wenn es die EU nicht gäbe? Die Wirtschaftskammer (WKO) will der wachsenden EU-Skepsis im Land mit Fakten begegnen und bestellte eine Studie beim ehemaligen IHS-Chef Christian Keuschnigg, Ökonom an der Uni St. Gallen.
Keuschnigg stellte die Vor- und Nachteile des EU-Beitritts für den Standort Österreich gegenüber und kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Aus rein volkswirtschaftlicher Sicht wäre ein EU-Austritt ("Öxit") ein Defizitgeschäft. Er würde die positiven Wachstumseffekte der Mitgliedschaft wieder umkehren und zu einem längerfristigen Rückgang der Wirtschaftsleistung (BIP) von rund sieben Prozent führen. Ersparen könnte sich Österreich die jährlichen EU-Nettozahlungen, die zuletzt etwa 0,38 Prozent des BIP ausmachten. "Sieht man die EU-Mitgliedschaft Österreichs als Investition rein im nationalen Interesse, dann ist die Rendite phänomenal", sagt Keuschnigg. Ein Öxit träfe vor allem folgende Bereiche:
Außenhandel
Der Wegfall von Handelsbarrieren im EU-Binnenmarkt kurbelte die Exporte in die EU, dem wichtigsten aller Exportmärkte, um 124 Prozent an. Ein Öxit würde den Außenhandel bremsen, speziell bei Klein- und Mittelbetrieben. Sinkende Exporte bedeuten weniger Produktion, Wachstum und Beschäftigung. WKO-Boss Christoph Leitl fürchtet um bis zu 150.000 Arbeitsplätze in zehn Jahren. Umgekehrt könnte Österreich aber auch mit Zöllen heimische Produktion vor Billigimporten schützen.
Investitionen
Der Beitritt führte zu erhöhten Direktinvestitionen ausländischer Konzerne in Österreich. "Ihr Ziel ist es, von Österreich aus den EU-Markt zu beliefern", so Keuschnigg. Auf multinationale Konzerne entfällt mehr als ein Viertel der Wertschöpfung und die Hälfte der industriellen Forschung. Bei einem Öxit könnten Betriebe abwandern.
Arbeitsmarkt
Die EU-Personenfreizügigkeit hat Vor- und Nachteile für Österreich. "Ein sensibles Thema", meint Keuschnigg, "weil die Auswirkungen zentral von den Qualifikationen der Zuwanderer abhängen". Kontrollierte Zuwanderung könnte sich aus diesem Aspekt positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken. In Österreich seien die Arbeitskräfte aus den neuen und alten EU-Staaten aber überwiegend gut qualifiziert. Auf Verdrängungseffekte im Niedriglohnsektor und die steigende Arbeitslosigkeit ging die Studie nicht konkret ein.
Euro
Öxit bedeutet auch Austritt aus der Eurozone und eigenständige Wechselkurs- und Zinspolitik. Für den Ökonomen wären die Folgen ob der geringen Ungleichgewichte "überschaubar, aber negativ". Die Notenbank müsste den Kurs der EZB passiv mittragen. Für die Eurozone hätte ein Öxit unabsehbare Folgen bis hin zu einer neuen Finanzkrise.
Die Öxit-Verluste fielen deutlich geringen aus, wenn Österreich der Freihandelszonen EFTA und EWR beitreten würde und somit Zugang zum EU-Binnenmarkt hätte. Die Wirtschaftsleistung dürfte dann längerfristig nur um ein bis zwei Prozent sinken. "Außerhalb der EU hat man weniger Einfluss als innerhalb. Das ist kein Gewinn von Autonomie – im Gegenteil", meint Keuschnigg, der wenig Entgegenkommen der EU bei etwaigen Austrittsverhandlungen erwartet.
Während Leitl vehement vor einem Öxit warnt, fällt die Conclusio der 30-seitigen Studie überraschend unaufgeregt aus: "Auch nach einem EU-Austritt kann Österreich ein reiches Land bleiben. Doch der Gegenwind wäre stärker und vieles wäre schwieriger."