Wie Rumänen den Teppich ausrollen
Von Simone Hoepke
Mit lautem Geklapper trabt ein Pferdefuhrwerk über die Straße. Der junge Mann hat die Zügel fest im Griff, die alte Frau mit Kopftuch und Kittelschürze sitzt gebückt neben ihm, klammert sich mit beiden Händen am Wagen fest. Die beiden gehören zu den Bessergestellten in Ziegental, einem 200-Einwohner-Ort im rumänischen Siebenbürgen, rund eine Flugstunde von Wien entfernt. Ein Pferd und Fuhrwerk kann sich hier kaum einer leisten. Viele der Männer im Ort sind Schafhirten, hanteln sich und ihre Familien als Tagelöhner durchs Leben. Jeder Zweite im Dorf ist jünger als 16 Jahre.
Häuser ohne Strom
Bis zum nächsten Ort ist es mangels Infrastruktur eine gefühlte Weltreise. Die meisten Rumänen, die in den gemauerten Häusern im Zentrum von Ziegental gelebt haben, sind auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben weggezogen. Geblieben sind die Roma-Siedlungen am Hügel. Kleine Hütten ohne Fließwasser, teils ohne Strom. Dazwischen gatschige Straßen, bellende Hunde, pickende Hühner, irgendwo grunzt ein Schwein, erdrückende Armut.
Löhne steigen stark
Bei 280 Euro liegt der aktuelle Mindestlohn in Rumänien, sagt Tisca-Chef Walter Aigner. Er schätzt, dass er in zehn Jahren doppelt so hoch sein wird. "Ich werde trotzdem nicht weiterziehen, sondern hier hochwertige Qualität in Handarbeit herstellen." Seit Kurzem produziert er auch unter dem GOTS-Bio-Siegel (Global Organic Textile Standard) handgewebte, beidseitig verwendbare Wollteppiche. Er will Tisca mit handwerklicher Verarbeitung von nachhaltig produzierter Wolle im Luxussegment positionieren.
Mit Siebenbürgen verbindet den Vorarlberger eine lange Tradition in der Textilproduktion. Bis zum Ende des Kommunismus waren allein in der Stadt Heltau rund 5000 Mitarbeiter beim Textilverarbeiter Covtex beschäftigt. Mit dem Kommunismus brach auch Covtex zusammen. Was blieb, ist das Know-how der Mitarbeiter. Aigner verlegte deshalb Ende der 1990er-Jahre seine Produktion in Tunesien nach Heltau, gut 15 Jahre später auch jene aus Österreich. Ohne Rumänien würde es das 1963 gegründete Unternehmen gar nicht mehr geben, ist der Tisca-Chef überzeugt. Ende der 1990er-Jahre drängten immer mehr Billigproduzenten aus Asien und Indien in den Markt und europäische Produzenten damit aus dem Geschäft. Auch IKEA bestellte 1996 in Indien und nicht mehr bei den Vorarlbergern.
Heute liefert Tisca an Möbelhäuser wie Kika/Leiner, macht sich aber auch mit Maßanfertigungen einen Namen. Im Vorjahr betrug der Jahresumsatz 6 Millionen Euro, heuer sollen es 6,5 Millionen werden.
Zu Spitzenzeiten waren es freilich schon 10 Millionen Euro, in zehn Jahren sollen es 20 Millionen sein, lautet der Plan. Aigner muss als Familienbetrieb nicht in Quartalszahlen denken (75 Prozent gehören der Schweizer Familie Tischhauser,der Rest den Aigners). Von rund 60.000 Teppichen, die Tisca im Vorjahr produziert hat, waren 80 Prozent für den Export bestimmt, allen voran für Deutschland, Skandinavien und Holland. In den Lagerhallen von Tisca lagert Wolle in allen möglichen und unmöglichen Farben, in Gittern verstaut, die bis knapp unters Dach gestapelt sind. Theoretisch könnte der Vorarlberger Teppicherzeuger knapp hundert Farbtöne liefern, praktisch kaufen zwei von drei Kunden Teppiche in ganz konservativen Naturfarben oder in Weiß. "Trotzdem brauchen wir all die Farben zur Auswahl, sonst würden wir langweilig wirken", ist Aigner überzeugt.
Konkurrent Fernreise
Auf die Frage, wer sein größter Konkurrent ist, sagt er: "Die Fernreise." Der Teppich sei meist das letzte, was im neuen Eigenheim gekauft wird – zumindest wenn noch Geld übrig ist. Die meisten Teppiche, die in Österreich verkauft werden, kommen von vollautomatischen, türkischen Webstühlen. "Die Türkei hat das Ziel ausgegeben, dass sie zehn türkische Unternehmen mit speziellen Programmen zu Weltmarktführern machen", sagt Aigner. Ein Unternehmen davon ist ein Teppichproduzent.
Die Reise erfolgte auf Einladung von Tisca.
Am Weg zum Tisca-Werk, das am Stadtrand von Hermannsdorf liegt, zeigt Firmenchef Walter Aigner auf die vielen Schafherden links und rechts der Straße. Geschätzte zehn Millionen Schafe gibt es in Rumänien, eigentlich ein unglaubliches Heer von Wolle-Lieferanten, sagt der Produzent von Wollteppichen.
Zwei bis drei Kilo Wolle liefert ein Schaf im Jahr, das ergibt für Rumänien eine Jahresproduktion von rund 25.000 Tonnen, rechnet der Geschäftsmann vor. Also etwa das hundertfache jener Menge, die Aigner jährlich von seinen rund 150 Mitarbeitern in Rumänien verarbeiten lässt. Der Teppich-Produzent seufzt: „Ich kaufe Wolle aus Neuseeland und verkaufe die Teppiche dann teils in Australien. Absurd.“
Merino aus Neuseeland Die großen Wollwäschereien sind in Neuseeland, sie bestimmen den Marktpreis. Bei wöchentlichen Auktionen wechseln zigtausend Tonnen Wolle ihren Besitzer, gehen etwa an europäische Großhändler, von denen auch Tisca Nachschub besorgt. Da es in Neuseeland kaum Temperaturschwankungen gibt, liefern die Schafe auch das ganze Jahr über eine gleichbleibende Qualität.
Die Merino-Schafe, die entlang der rumänischen Schwarzmeerküste grasen, können da nicht mithalten. „Aber für eine Wolldecke reicht die Qualität allemal“, betont Aigner. Er will mit Partnern eine Wäscherei in Rumänien bauen. „Das wird aber noch dauern, bis wir den richtigen Standort und die richtigen Fachleute gefunden haben.“