Wirtschaft

Schweizer Ministerin empfiehlt ihr Steuermodell für Österreich

KURIER: In Österreich wird diskutiert, ob die Länder Steuern einheben sollen. In der Schweiz dürfen das Kantone, die mit unseren Bundesländern vergleichbar sind, schon längst. Können Sie Österreich das Schweizer Modell empfehlen?

Eveline Widmer-Schlumpf: Ich halte das für sehr sinnvoll. Gewisse Aufgaben liegen bei den Kantonen. Nicht nur Nebenaufgaben, sondern Bereiche wie Schulen, Gesundheit und Sicherheit. Die Kantone sind für die Finanzierung verantwortlich. Über Einkommenssteuern, Vermögenssteuern und Gewinnsteuern von Unternehmen. Der größere Teil der direkten Steuern in der Schweiz wird von Kantonen und Gemeinden erhoben. Die Kantone müssen zum Beispiel darüber befinden, wie viele Spitäler sie wollen. Wie viele Akutspitäler, wie viele Spezialkliniken. Sie zahlen das zu einem guten Teil mit ihren Steuereinnahmen selbst.

Die volle Verantwortung ist bei den Kantonen?

Ja, die Verantwortung, das Bedürfnis, der Nutzen, die Kosten, die Entscheidungskompetenz sind immer auf der gleichen Ebene. Man soll die Aufgaben dort ansiedeln, wo sie anfallen. Ich denke, dieses System hat sich bewährt. Es ist für einen Bundesstaat natürlich herausfordernd, doch Föderalismus ist immer etwas anstrengend.

Was würden Sie Finanzminister Schelling raten?

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Ich bin nicht hier, um Ratschläge zu erteilen. Wir haben 15 Jahre an einer Föderalismusreform gearbeitet, die 2008 in Kraft gesetzt wurde. Wir haben gesehen, dass es sehr richtig ist, dass man klar Aufgaben zuteilt. Also sagt, wer ist für welche Aufgabe verantwortlich. Nationalstraßen sind nur noch Bundeskompetenz und Kantonsstraßen nur noch kantonale Kompetenz. Die Schulen unterhalb der Universitätsstufe sind alleine im Kantonsbereich. Dann haben wir die kantonalen Universitäten, beispielsweise Zürich. Daneben haben wir die zwei eidgenössisch technische Hochschulen in Lausanne und Zürich. Da finanziert der Bund auch mit.

Wie sollte man an eine Systemänderung herangehen?

Man muss sich zuerst einmal darüber im Klaren sein, auf welcher Ebene welche Aufgaben angesiedelt sein müssen. Und sich dann fragen, welche Einnahmenquellen müssen die Länder bei Ihnen haben, um diese Aufgaben autonom finanzieren zu können. Man muss über die Aufgaben gehen und nicht nur einfach über die Steuern. Natürlich ist es interessant, ob Sie es von unten nach oben entwickeln so wie wir. Wir haben 1848 begonnen, da waren vor allem die Kantone befugt, Steuern zu erheben und teilweise die Gemeinden. Der Bund erhielt die Kompetenz für direkte Steuern erst 1958. Von oben nach unten zu organisieren ist sehr anspruchsvoll. Darum ist es eine große Herausforderung für Österreich, denke ich, so ein System zu bauen.

Können Kantone pleitegehen? Wir haben diese Diskussion mit einem Bundesland.

Ich weiß, ich habe dort sehr gerne Ferien gemacht, am Klopeiner See. Bei uns können Kantone nicht pleitegehen. Es ist in der Bundesverfassung festgehalten, dass sich Bund und Kantone gegenseitig Beistand schulden. Aber ein Kanton kann natürlich enorme Schwierigkeiten haben. Er ist dann verpflichtet, sich zu reorganisieren und Schulden abzubauen. Es gibt klare Leitlinien. Im Übrigen haben alle Kantone heute eine Schuldengrenze, wie der Bund auch. Das ist sehr wertvoll und in der Verfassung abgesichert.

Aber 2014 schafften Sie im Bund erstmals seit 2005 ein Defizit.

Wir haben in der Rechnung ein Minus von rund 100 Millionen Franken, nicht im Budget. Doch das liegt durchaus im Rahmen der Schuldenbremse, wir hätten sogar ein Minus von 400 Millionen haben können. Wir sind aber sehr strikt und sehr konsequent und haben unser Budget 2016 sofort angepasst und 1,3 Milliarden Franken herausgenommen. Die Einnahmen-Situation hat sich auch in der Schweiz sehr stark geändert. Das Wachstum der Einnahmens- und Vermögenssteuern sowie der Gewinn- und Kapitalsteuern ist niedriger als die Modellrechnungen. Daher wird die ganze Finanzplanung herunter korrigiert.

Die Schweiz leidet unter dem starken Franken. War’s das jetzt oder könnte Ihre Währung noch weiter zulegen?

Das hoffen wir nicht. Die Verantwortung liegt bei der Nationalbank, die völlig unabhängig ist. Wir hoffen, dass sich der Franken stabilisiert und die Wirtschaft Planungssicherheit hat.

Könnte der Franken absehbar wieder schwächer werden?

Ich gebe gar keine Prognosen. Das habe ich einmal gemacht und das hat sich nicht bewährt.

Kaufen Sie seit der Frankenstärke auch in Österreich ein?

Ich kaufe immer in der Schweiz. Außer ich bin beruflich im Ausland, dann kaufe ich etwas für meine Enkelkinder. Aber sonst kaufe ich wirklich nur in der Schweiz ein. Weil es am bequemsten ist.

Noch zu Griechenland. Angeblich sind 80 Milliarden Euro – die Zahlen schwanken ständig – in der Schweiz gebunkert, davon zwei Drittel Schwarzgeld.

Ich weiß nicht, worauf sich diese Zahlen stützen. In Griechenland mussten bis vor zwei Jahren gewisse potenziell Steuerpflichtige gar keine Steuern zahlen. Da kann man doch nicht sagen, sie haben unversteuerte Konten in der Schweiz. Die Griechen arbeiten jetzt an einer neuen Gesetzgebung. Wir werden dann darauf gestützt schauen, wo es wirklich unversteuerte Konten gibt.

Sie wagen selbst keine Schätzung über griechisches Schwarzgeld?

Nein. Wir haben auch nicht die Möglichkeit. Wir können nicht bei jeder Bank hineinschauen, wir haben ein Bankgeheimnis. Erst wenn wir die Regularisierung der Vergangenheit machen, also wie etwa mit Deutschland, dann sieht man, wie viel Geld regularisiert wird. Wir werden mit Griechenland eine Vergangenheitsregelung machen. Griechenland will eine Steueramnestie und dann werden die Konten in der Schweiz selbstverständlich versteuert. Aber nicht die Schweiz zieht dann die Steuern ein. Die Kunden müssen sich bei den Banken deklarieren. Die Schweiz kann ja nicht für andere Länder Steuern einziehen.

Die Juristin und gewiefte Politikerin begann als selbstständige Rechtsanwältin. Die dreifache Mutter und Großmutter zerkrachte sich 2008 mit der SVP und wurde gegen den Willen ihrer Partei in den Bundesrat gewählt. 2012 war sie Bundespräsidentin. Die Finanzexpertin saß in etlichen Verwaltungskommissionen.

Direkte Steuern auf Einkommen und Vermögen waren seit 1848 den Kantonen vorbehalten. Erst 1958 wurde in der Verfassung verankert, dass auch der Bund direkte Steuern einheben kann. Die Kantone sind frei in der Ausgestaltung der Steuertarife und tragen einnahmen- und ausgabenseitig die volle Verantwortung für ihre Finanzen. Die Kantone stehen im harten Steuerwettbewerb. Der Druck auf die Kantone, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, ist stark. Der Finanzausgleich erfolgt horizontal und vertikal. Vom Bund zu den Kantonen und von reichen zu armen Kantonen.