Wettrüsten in Tomatenhäusern
Von Simone Hoepke
Wenn plötzlich jeder Tomaten aus der Region essen will, wird es irgendwann nicht genug davon geben. Das haben die großen Handelsketten erkannt. Sie binden verstärkt Landwirte an sich, um auch künftig genügend Gemüse aus der Region in den Regalen zu haben.
In Niederösterreich hat kürzlich auf 80.000 Quadratmetern ein Tomatenhaus mit modernster Technik eröffnet. Bis zu 17 Stunden am Tag leuchten dort die Wachstumslampen, 17 Millionen Euro sind in modernste Technik geflossen. "Unser Fokus liegt auf dem Zeitraum November bis April, in dem es bisher keine regionale Ware gab", sagt Christian Zeiler, Chef des Tomatenlieferanten. Etwa 300.000 Pflanzen hat er im Glashaus angepflanzt, wöchentlich werfen sie bis zu 100 Tonnen Tomaten ab – und das exklusiv für die Filialen des Rewe-Konzerns (Billa, Merkur, Adeg, AGM). Am Projekt sind mehrere Investoren beteiligt, darunter die Familie Piech, die auch an der Pinzgau Milch beteiligt ist, die Milch der Rewe-Marke Ja!Natürlich abfüllt.
Paprika im Winter
Im oststeirischen Bad Blumau, mitten in der Thermenlandschaft, hat ein ähnliches Projekt Wellen geschlagen. Auf 27 Hektar soll ein Glashausprojekt entstehen, das das ganze Jahr über Gemüse für den Lebensmittelhändler Spar produziert. Die Größe der Glashäuser ließ die Wogen hochgehen, vor allem im Rogner Bad Blumau, das nur fünf Kilometer entfernt ist. Den Thermenbetreibern stößt sauer auf, dass die Glashäuser mit dem heißen Thermalwasser beheizt werden sollen, das dann wieder in den Boden rückgeführt wird. Über die Auswirkungen auf das Thermalwasser wird gestritten.
Vorerst startet Frutura mit einem redimensionierten Glashaus. Auf 4,3 Hektar werden ab Mai Paprika und Tomaten geerntet. Firmenchef Manfred Hohensinner: "In Summe investieren wir mehr als 50 Millionen Euro und stellen 200 Mitarbeiter ein."
Die beiden Großprojekte haben eines gemeinsam: Sie sollen im Winter Import-Ware aus Südeuropa und Nordafrika aus den Supermarktregalen drängen. Händler wollen sich mit der regionalen Ware Sympathiepunkte holen. Christian Zeiler wird beispielsweise nicht müde zu betonen, dass seine Tomaten eine bessere CO2-Bilanz vorweisen als Konkurrenzware aus holländischen Gewächshäusern. Gleichzeitig baut er ausgefallene Sorten an, die bei Billa unter Namen wie "Runde Resi" oder "Süße Sophie" in den Regalen liegen.
Preislich können wir nicht mit Marokko oder Tunesien mithalten", sagt Zeiler. "Wir haben aber andere Sorten und können reife Früchte ernten, was den Geschmack und die Qualität verbessert."
Mit dem Trend hin zu mehr Regionalität nimmt die Vertikalisierung zu. Die Rewe-Bio-Marke Ja!Natürlich oder die Hofer-Marke "Zurück zum Ursprung" schließen bereits mit Bauern und Genossenschaften direkte Lieferverträge ab.
Peter Schnedlitz, Handelsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien, bezeichnet die beiden Glashausrojekte als "extreme Formen der Vertikalisierung, die praktisch einer Eigenproduktion gleichgestellt werden können." Schnedlitz: "Langfristig sehe ich die Gefahr eines erwachenden ,Kantönli-Geistes‘ oder gar Einkaufs-Chauvinismus. Glaubt jemand ernsthaft, dass der Käse aus Frankreich und das Essen in Italien schlechter ist als bei uns?"
Brüssel strebt strengere Kriterien beim Import von Bio-Produkten an. Diese sollen in der neuen Bio-Verordnung fix gemacht werden. Bei Importen aus Entwicklungsländern könnte der Schuss nach hinten losgehen, warnen Organisationen wie Fairtrade. Speziell Kleinbauern-Kooperativen könnten sich die künftig verlangten teuren Zertifizierungsverfahren nicht leisten, befürchtet die Organisation, die sich für fairen Anbaubedingungen und Löhne für Bauern in Asien, Afrika und Lateinamerika einsetzt.
Dabei könne schon jetzt der Bedarf bei einigen fair gehandelten Produkten nicht voll gedeckt werden. In Deutschland werden beispielsweise Bio-Bananen mit Fairtrade-Siegel knapp.
Die EU-Import-Regelungen müssten zwar verbessert werden, sie sollten aber auf die besondere Situation von Kleinbauern in Afrika und Asien stärker Rücksicht nehmen, meinen Fairtrade-Vertreter. Die neuen EU-Standards sollen demnach vor allem in solchen Anbauländern gelten, die bislang noch keine bilateralen Verträge mit der EU über Bio-Standards abgeschlossen haben.
Heute ist bei uns ein Mittelburgenländer cooler als sein Konkurrent aus Kalifornien. Zumindest wenn es um Wein geht. Da steht Regionalität hoch im Kurs. Schon allein wegen der Klimabilanz. Wer will beim Weintrinken schon einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlassen?! Dass Städter neuerdings mit ihrem SUV in die entlegensten Weingegenden stauen, um Nachschub für den Weinkeller zu holen, ist eine andere Geschichte. Da geht es ja nicht nur ums Abholen der Kisten, sondern auch darum, dem Winzer das im Basis-Weinseminar erlernte Wissen unter die Nase zu reiben.
Der Regionalitätswahn erreicht nun auch die Tomate. Sie soll ganzjährig in Österreich wachsen. Entsprechende klimatische Bedingungen müssen geschaffen werden, mit Gewächshäusern, die beleuchtet wie Verschubbahnhöfe in der Gegend stehen. Aus ihnen karrt der Unternehmer tonnenweise Tomaten. Zur Freude von allen. Schließlich schafft das auch Arbeitsplätze.
Die irgendwo anders verloren gehen. In Marokko oder auch nur zwei Ortschaften weiter. Supermarktketten, die sich Haus- und Hoflieferanten heranzüchten, die Hunderte Filialen versorgen, werden nicht auch noch bei zig kleinen Gärtnern kaufen. Und der Exklusiv-Lieferant? Wird eher eine schwache Verhandlungsposition haben, wenn er sonst niemanden beliefern kann. Und der Konsument? Sollte vielleicht nachdenken, ob er im Winter überhaupt Tomaten und Erdbeeren essen muss.