Wirtschaft

VW-Dieselskandal: In Deutschland startet Milliardenprozess

Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig hat heute, Montag, der Musterprozess um Schadensersatzforderungen von Anlegern gegen Volkswagen und deren Muttergesellschaft Porsche SE begonnen. Der 3. Zivilsenat verhandelt über eine Klage der Fondsgesellschaft Deka Invest wegen erlittener Kursverluste. Nach den Vorgaben des Braunschweiger OLG sollen knapp 1700 vergleichbare Fälle von rund 2000 Klägern geklärt werden, die Summe der Forderungen beläuft sich auf über neun Milliarden Euro. Die Kläger werfen dem Wolfsburger Konzern und dessen Hauptaktionär vor, sie zu spät über den millionenfachen Abgasbetrug informiert zu haben. In den Tagen nach Bekanntwerden von „Dieselgate“ vor knapp drei Jahren in den USA waren die VW-Aktien zeitweise um mehr als 40 Prozent eingebrochen. Wegen des großen öffentlichen Interesses verhandelt das Gericht im Kongress-Saal der Stadthalle.

Für das Verfahren ist entscheidend, wann Volkswagen das Ausmaß der Abgasmanipulation und die finanziellen Folgen bewusst wurden. Davon hängt ab, zu welchem Zeitpunkt der Konzern die Börse mit einer Pflichtmitteilung informieren musste. Die Kläger - überwiegend institutionelle Anleger - werfen den Wolfsburgern vor, mit der Information zu lange hinter dem Berg gehalten und ihnen dadurch einen Wertverlust ihrer Aktien eingebrockt zu haben. Dem hält VW entgegen, die Kursrelevanz sei erst durch die Veröffentlichung der US-Umweltbehörde am Freitag, 18. September, erkennbar geworden. Die EPA hatte damals eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar angedroht. Am nächsten Börsenhandelstag - Montag, 22. September - veröffentlichten die Unternehmen eine Ad-hoc-Mitteilung.

Der Abgasskandal hat Volkswagen in eine schwere Krise gestürzt. Die bisherige Entwicklung im Überblick:

3. September 2015: VW räumt hinter den Kulissen gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Diesel-Abgastests ein.

18. September: Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

23. September: Rücktritt von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn, zwei Tage später beruft der Aufsichtsrat Porsche-Chef Matthias Müller als Nachfolger.

15. Oktober: Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet einen Pflichtrückruf aller VW-Dieselautos mit Betrugs-Software an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen Wagen in die Werkstatt.

22. April 2016: Der Abgas-Skandal brockt dem Volkswagen-Konzern für 2015 mit 1,6 Mrd. Euro den größten Verlust der Geschichte ein.

8. August: Das Landgericht Braunschweig gibt den Startschuss für ein Musterverfahren wegen milliardenschwerer Aktionärsklagen gegen VW.

25. Oktober: US-Rechtsstreit um VW-Dieselwagen mit 2,0-Liter-Motoren: VW einigt sich auf 16 Mrd. Dollar (13,75 Mrd. Euro) Entschädigung an Kunden, Behörden, Händler und US-Bundesstaaten.

11. Jänner 2017: VW und das US-Justizministerium vergleichen sich in strafrechtlichen Fragen auf eine Zahlung von 4,3 Mrd. Dollar.

31. Mai: Es wird bekannt, dass VW-Tochter Audi in Deutschland und Europa unzulässige Abgas-Software verwendet hat.

25. August: VW-Ingenieur James Liang wird in den USA zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte 2016 als Kronzeuge ausgepackt.

6. Dezember: Der frühere VW-Manager Oliver Schmidt wird in den USA wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoßes gegen Umweltgesetze zu sieben Jahren Haft verurteilt.

12. April 2018: VW-Markenchef Herbert Diess wird zum Nachfolger von Müller an der Konzernspitze berufen.

18. Juni: Der Chef der VW-Tochter Audi, Rupert Stadler, wird verhaftet. Die Ermittler werfen ihm Falschbeurkundung im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen vor.

10. September: Beginn des Kapitalanleger-Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Musterklägerin ist die deutsche Sparkassen-Fondstochter Deka Investment. Ziel des Prozesses ist eine Rahmenentscheidung, die für alle Beteiligten bindend ist.