Wirtschaft

Verkäufer dringend gesucht

Allein die Wiener Städtische will 200 Versicherungsberater einstellen, die Branche sucht 2000 Mitarbeiter. Generaldirektor Lasshofer spricht im KURIER-Interview auch über das verdrängte Thema Pflege, Garantien in der Lebensversicherung und warum er die Pensionskasse verkaufen will.

KURIER: Seit Jahren suchen die Versicherungen Mitarbeiter für den Außendienst. Warum bekommt die Branche keine Leute, die Lage am Arbeitsmarkt ist doch alles andere als rosig.

Robert Lasshofer: Das Bild, das manche von diesem Beruf im Kopf haben, entspricht nicht der Realität. Die Kunden schätzen ihren eigenen Berater zu 95 Prozent als gut oder sehr gut ein, aber die Einschätzung anderer Berater ist bei Weitem nicht so gut.

Warum haben Versicherungsverkäufer kein besseres Image?

Verkäufer haben in unseren Breiten grundsätzlich nicht den maximalen Rückenwind, anders als zum Beispiel in den USA. Man muss bereit sein, antizyklisch zu arbeiten, auch diese Bereitschaft ist hier zu Lande nicht sehr stark ausgeprägt. Man muss Zeit haben, wenn einen die Kunden brauchen. Außerdem gehen die Babyboomer in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren in Pension und wir müssen zeitgerecht Nachwuchs rekrutieren.

Welche Ausbildung ist dafür notwendig?

Eine abgeschlossene Berufsausbildung, das kann auch eine Lehre sein. Wir bieten ein breites Ausbildungsprogramm. Zuerst machen wir Assessments, dann eine 18-monatige Grundausbildung, die mit der Prüfung des Bildungswerkes der österreichischen Versicherungswirtschaft (BÖV) und einer Zertifizierung endet. Die Bedürfnisse der Kunden haben sich sehr verändert, sie sind breiter und spannender geworden, auch Kapitalmarkt-affiner. Wer einen Kunden sein Leben lang begleitet, lebt mit seinen Veränderungen, kann mitgestalten und ihm seine Sorgen abnehmen – im besten Sinn des Satzes: „Ihre Sorgen möchten wir haben“. Insgesamt ist das ein großartiger Beruf, bei dem man mit Menschen zu tun hat und bei dem man auch das Einkommen letztendlich frei bestimmen kann. Und der auch ideal für Frauen ist, die nach der Kinderbetreuung wieder ins Arbeitsleben einsteigen wollen.

Wie sieht’s mit dem Verdienst aus?

Das hängt von einem selbst ab. Das Mindest-Einkommen laut Kollektivvertrag liegt bei zirka 20.000 Euro im Jahr, im Durchschnitt ist es mehr als doppelt soviel.

Gibt’s die Starverkäufer immer noch, die mehr verdienen als der Generaldirektor?

Ja, und auf diese Mitarbeiter bin ich auch sehr stolz.

Wie viele Außendienstler sucht die Wiener Städtische?

2014 und 2015 rund 200 Mitarbeiter, die Branche insgesamt benötigt rund 2000. Welche Branche kann schon 2000 neue Jobs anbieten? Meist ist doch das Gegenteil der Fall.

Dafür wird aber in der Verwaltung abgebaut.

Wir versuchen, den natürlichen Abgang zu nutzen und dafür die Produktivität zu verbessern. Die Wiener Städtische hat das schon vor einigen Jahren zeitgerecht gemacht. Derzeit haben wir 1500 Innendienst-Mitarbeiter, diesen Stand wollen wir halten. Bei den fast 1800 Außendienst-Beschäftigten wollen wir wachsen.

Zum Thema Pflege. Jeder durchschnittlich intelligente Mensch weiß um das Risiko, ein Pflegefall zu werden. Warum ist die private Pflegeversicherung trotzdem ein Ladenhüter?

Man weiß um das Risiko, aber verdrängt es nach dem Motto: „Mir passiert das nicht“. Erst wenn jemand in der Familie betroffen ist, steigt das Interesse. Doch wenn es sich um die Eltern handelt, sind die Kinder auch meist schon älter und dann ist die Pflegeversicherung teuer. Wir haben mit rund 21.000 Verträgen einen Marktanteil von einem Drittel, weil wir uns schon früh mit der Thematik beschäftigt haben. Grundsätzlich gilt wie bei jedem anderen Vorsorgeprodukt: Je früher man beginnt, desto billiger ist es.

Kann sich ein junger Mensch eine Pflegeversicherung leisten?

Zwei „Große Schwarze“ in einem Wiener Kaffeehaus im Monat weniger und man sichert sich die private Pflege. Ein Neugeborenes heute hat eine 50:50-Chance, älter als hundert Jahre zu werden. Die steigende Lebenserwartung ist mit dem Risiko langer Pflegebedürftigkeit verbunden. Mehr als 80 Prozent der Menschen wollen zu Hause gepflegt werden, dafür ist Kapital notwendig. Unsere Produkte bieten ein mehrfaches des staatlichen Pflegegeldes. Außerdem kann man sehr schnell und unerwartet pflegebedürftig werden, denken Sie an einen Unfall.

Werden Sie den Verkauf der Pflegeversicherung forcieren?

Wichtig ist, ein Bewusstsein zu schaffen. Darum haben wir uns auch bei der Aktion „PflegerIn mit Herz“ engagiert.

Kann Ihr Unternehmen in Österreich überhaupt noch weiter wachsen?

Der Markt ist sehr dicht besetzt. Doch bei der Lebensversicherung ist die Durchdringung in Österreich noch nicht so stark wie in anderen Märkten, das hat auch mit unserem Sozialversicherungssystem zu tun, das relativ hohe Leistungen verspricht. Vor diesem Hintergrund sehen wir vor allem in der Lebensversicherung noch Wachstumsperspektiven.

Als reine Vorsorge ist die Lebensversicherung angesichts der niedrigen Renditen doch uninteressant.

Widerspruch! Welches Produkt kann eine monatliche Rente sicherstellen, egal, wie alt man wird? Mit den anderen Sparprodukten können Sie maximal auf die durchschnittliche Lebenserwartung abzielen. Stimmt schon, die Lebensversicherung ist langweilig, aber Langweiligkeit ist in Zeiten wie diesen ein Wert an sich.

Überlegen Sie auch Lebensversicherungen ohne Garantieverzinsung?

Wir haben uns sehr genau angesehen, wie lange wir bei einem derart niedrigen Zinsniveau die Garantie erbringen können. Wir schaffen das über die nächsten 20 Jahre. Die Garantie kostet Geld, aber wir werden diese Produkte weiterhin anbieten.

Wie läuft’s in der Schaden-Unfallversicherung?

Wir merken bei unseren Kunden eine größere Bereitschaft, ihre Werte – Häuser, Wohnungsinhalt – besser zu versichern. Das hat auch mit den Naturkatastrophen zu tun, viele Konsumenten und Unternehmen fragen, ob sie richtig versichert sind. Unsere Prämien steigen um 3,3 Prozent.

Die Wr. Städtische ist ja auch Aktionär einer Pensionskasse. Zufrieden damit?

Stimmt, ich bin aber nicht sehr glücklich damit. Wenn sich ein Käufer findet, würde ich sofort verkaufen.

Warum?

Die Pensionskasse steht in einem Wettbewerbsverhältnis mit der betrieblichen Kollektivversicherung. Lebensversicherung ist unser Kerngeschäft, wir müssen nicht Eigentümer einer Pensionskasse sein.

Die Performance wird auch nicht besser sein als bei den anderen Pensionskassen.

Die Ergebnisse, die Pensionskassen für ihre Kunden erzielen, beschädigen die private Vorsorge doch etwas.

Karriere

Der 56-Jährige stieg 1986 bei der Konzern-Tochter Union Versicherung ein. Nach einem Zwischenspiel beim AWD Rückkehr in die Gruppe als Vorstand der Donau Versicherung. Seit 1999 im Vorstand der Wiener Städtischen, ab 2010 deren Generaldirektor.

Unternehmen

Die Wr. Städtische gehört zur Vienna Insurance Group, dem größten Versicherungskonzern in Österreich und Osteuropa. Die VIG fuhr im Vorjahr einen Rekordgewinn von 446 Mio. Euro und 9,7 Milliarden an Prämien ein. In 24 Ländern präsent, insgesamt 23.000 Mitarbeiter.