Tod einer Stahl-Legende
Von Anita Staudacher
Er galt als eine der wichtigsten Unternehmerpersönlichkeiten der deutschen Nachkriegszeit. Im hohen Alter wurde er zur lebenden Legende in der Stahlbranche. Am Mittwoch hörte das Herz des 99-jährigen Berthold Beitz zu schlagen auf. Im September hätte der Chef der mächtigen Krupp-Stiftung, die den Stahlriesen ThyssenKrupp nach wie vor lenkt, seinen 100. Geburtstag gefeiert.
Der Tod des ThyssenKrupp-Patriarchen trifft das Unternehmen in der größten Krise seit der Fusion von Thyssen und Krupp im Jahr 1999. Mit dem „Alten“ fehlt jetzt die Integrationsfigur, die bitter nötig ist. Der größte deutsche Stahlbauer hat nach gigantischen Fehlentscheidungen im Management Schulden in Milliardenhöhe und ein Kartellverfahren am Hals. Die Krupp-Stiftung, der Beitz vorstand, hält mit 25,3 Prozent die Sperrminorität an ThyssenKrupp und ist so ein Bollwerk gegen feindliche Übernahmen. Erst zu Jahresbeginn kam es bei der Hauptversammlung zum Showdown mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme, Vize-Chef der Stiftung und langjähriger Beitz-Vertrauter. Beitz übte heftige Kritik an seinen „Kronprinzen“ Cromme, weil dieser die Fehlentscheidungen im Vorstand nicht nur nicht verhindert, sondern sogar unterstützt hatte. Wenig später nahm Cromme seinen Hut als Aufsichtsratschef. Auch als oberster Aufseher bei Siemens steht der 70-jährige Cromme derzeit unter Beschuss.
Bewegtes Leben
Der 1913 in Vorpommern geborene Beitz stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Er begann seine berufliche Karriere mit einer Banklehre in Stralsund. Im Zweiten Weltkrieg war er von 1941 bis 1944 kaufmännischer Leiter der zuvor von den Deutschen eroberten Ölfelder von Boryslaw in der heutigen Ukraine. Dort erlebte Beitz die grauenvollen Deportationen jüdischer Menschen in NS-Vernichtungslager und entschloss sich kurzerhand zu helfen. Unterstützt von seiner Frau Else rettete er Hunderte verfolgter Juden vor der SS, indem er den Nazi-Schergen versicherte, er als Unternehmenschef brauche jüdische Spezialisten für die Ölförderung. Für diesen Einsatz erhielt er nach dem Krieg hohe polnische Auszeichnungen, 1973 verlieh ihm Israel den Ehrentitel „Gerechter der Völker“.
1953 wurde Beitz von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach als Generalbevollmächtigter zum Stahlriesen geholt. Alfried Krupp starb 1967. Sein Sohn Arndt verzichtete aufs Erbe, das Vermögen floss in die gemeinnützige Krupp-Stiftung. Beitz wurde 1970 Aufsichtsratschef und blieb es bis 1989. Doch auch danach ging ohne den Sanktus des stets korrekten und tugendhaften Patriarchen nichts. „Berthold Beitz hat die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland geprägt“, würdigte Wirtschaftsminister Philipp Rösler den Verstorbenen.