Siemens schickt Energiesparte an die Börse
Siemens verteilt 55 Prozent seines Energiegeschäfts an seine Aktionäre. Am 28. September werden Hunderte Millionen Aktien der neuen Siemens Energy in den Depots auftauchen und der Handel an der Börse wird beginnen. Das Unternehmen mit gut 90.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zuletzt 29 Milliarden Euro wird vor allem auf Basis einer Überzeugung in die Eigenständigkeit geschickt: Jeder für sich selbst klappt besser.
Siemens Energy soll seinen Weg durch die bevorstehenden Herausforderungen alleine gehen - ohne den Schutz, aber auch ohne den Ballast des Konzerns. Das Energiegeschäft hat eine lange Tradition bei Siemens, doch im Konzernverbund gab es ein zentrales Problem: Es ist mit seinen langfristigen Wartungsverträgen und riesigen Auftragsbeständen zwar robust gegen kurzfristige Schwankungen, doch weniger margenträchtig als beispielsweise das Industriegeschäft. Das machte es im konzerninternen Wettbewerb um Investitionen schwierig.
Zum Abschied hat Energy nun noch einmal eine solide Finanzierung mitbekommen. Künftig kann und muss sich der im Frühjahr angetretene neue Energy-Chef Christian Bruch das Geld selbst am Kapitalmarkt holen, wenn auch wegen eines etwas schlechteren Ratings zu voraussichtlich etwas ungünstigeren Konditionen als Siemens.
Einfluss der Politik
Und die Aufspaltung könnte Risiken mit sich bringen: So warnte der scheidende Siemens-Chef Joe Kaeser schon auf der außerordentlichen Hauptversammlung zur Abspaltung, dass bestimmte Einspar- und Größeneffekte verloren gehen. Und vor allem ist Energy in einem sich stark wandelnden Markt unterwegs, der zudem auch politischen Schwankungen unterliegt. Kein Wunder also, dass sich Energy-Chef Bruch für Berlin als Hauptquartier entschieden hat - nahe bei den politischen Entscheidungsträgern. Der Verwaltungssitz allerdings bleibt in München.
Ein Champion im Energiegeschäft mit einzigartiger Breite und Tiefe - so sieht man bei Siemens das neue Unternehmen. Doch diese Breite ist auch Herausforderung, denn der neue Konzern hat zwar mit der gut zwei Drittel schweren Beteiligung an Siemens Gamesa ein starkes Windenergiegeschäft und ist auch in der wichtig bleibenden Stromübertragung tätig, doch gleichzeitig liefert und wartet er Turbinen und andere Technik für Gas- und vor allem Kohlekraftwerke. Es geht um einen Markt, der über die kommenden Jahrzehnte schrumpfen und wegbrechen wird.
Kaeser, der Energy als Aufsichtsratschef weiter begleitet, hat dem Vorstand bereits aufgegeben, einen Plan zum Ausstieg aus der Kohle zu entwickeln - verantwortungsvoller als Aktivisten dies forderten und "konsequenter, als Zögerlinge dies für notwendig halten". Eine Gefahr dabei: Am Ende dürfte der Plan von beiden Seiten Kritik bekommen.
Die hat sich Bruch auch schon mit seinen Plänen für Kosteneinsparungen bei Energy eingehandelt. Er will unter anderem die bei Siemens geltende Vereinbarung zur Standortsicherung nicht übernehmen und Standorte abbauen. Das soll Produktionsketten vereinfachen, argumentiert man beim Unternehmen. Die Gewerkschaft reagierte alles andere als amüsiert und sprach von "versteckten Drohungen" auf der Zielgeraden zur Abspaltung.
Ganz trennen wird sich Siemens nicht: Gut 35 Prozent an Energy behält der Konzern zunächst selbst, knapp 10 Prozent gehen an den Pensionsfonds des Konzerns. Beide Positionen werden über die Zeit schrumpfen, Siemens will aber Ankeraktionär mit einem Anteil von rund 25 Prozent bleiben.
Potenzial für oberste Börsen-Liga
Angesichts seiner Größe könnte Siemens Energy in absehbarer Zeit neben der alten Mutter Siemens Teil des Aktienindex Dax werden. Weil das auch für die andere große Siemens-Abspaltung Healthineers gilt, könnten Ende des kommenden Jahres drei Unternehmen mit dem Namen Siemens in der obersten Liga der Deutschen Börse spielen.
Am Freitag wurde die Abspaltung mit dem Eintrag ins Handelsregister vollzogen. Am Montag folgt nun der Börsenstart - und der könnte alleine aus technischen Gründen turbulent werden. Jeder Siemens Aktionär bekommt pro zwei Siemens-Aktien eine von Siemens Energy hinzu. Doch nicht jeder kann oder will die neuen Papiere auch behalten. So müssen beispielsweise Fonds, die den Dax abbilden, die Aktie, die derzeit nicht im Dax ist, abstoßen. In Siemens-Kreisen rechnet man mindestens für zwei bis drei Wochen mit größeren Schwankungen. Erst dann werde der Kurs des neuen Unternehmens wirklich etwas über seinen Wert aussagen können - und der kombinierte Börsenwert von Siemens und Siemens Energy etwas darüber, ob Einzelteile wirklich mehr wert sind als ein Ganzes.