Seriengründer Lieber: "Der Staat sollte keine Blasen fördern"
Von Anita Staudacher
Die Technologiebranche war heuer geprägt vom – staatlich geförderten – Start-up-Hype. Nachhaltig sei das nicht, warnt Peter Lieber, Präsident des Österreichischen Softwareindustrie-Verbandes VÖSI, vor falscher Gründer-Euphorie. Viele Ein-Personen-Unternehmen würden ums nackte Überleben kämpfen.
KURIER: Sie haben selbst schon zwölf Unternehmen gegründet. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung bei den Start-ups?
Peter Lieber: Was mich stört, ist die Motivation vieler Start-ups. Die gründen nicht, um ein Unternehmen zu führen, sondern weil sie gekauft werden wollen, um reich zu werden. Das ist der völlig falsche Ansatz. Ich sollte ja gründen, um ein wirtschaftlich eigenständiges Unternehmen zu schaffen, das wie ein Kind auch irgendwann ohne mich leben kann. Gründen mit der Intention, selbstständig lebensfähig zu sein.
Sind Start-ups nicht nachhaltig genug?
Wer ein Unternehmen nur gründet, um schnell reich zu werden, könnte gleich Poker spielen oder Bitcoins kaufen. Das Risiko ist dasselbe und am Ende des Tages habe ich nichts Nachhaltiges geschaffen. Heute wird den Jungen alles nachgeschmissen, nur damit sie gründen. Aber das Überleben ist einfach unglaublich hart. . .
. . .und das Scheitern ist in vielen Fällen vorprogrammiert?
90 Prozent der Start-ups scheitern nach spätestens fünf Jahren oder schreiben niemals Gewinne. Der Staat sollte keine Blasen fördern, sondern besser ernsthafte Gründer. Ich verwende dafür lieber den Begriff Jungunternehmen.
Ist die Selbstständigkeit überhaupt für jeden geeignet?
Nein, Selbstständigkeit ist nicht für alle geeignet. Du musst ein gewisses gesetteltes Umfeld haben. Gründer sind Innovatoren, die etwas verändern wollen. Da gibt es auch viele Chancen. Viele Gründer müssen dann aber jeden Auftrag annehmen, um zu überleben. Aber wenn ich ums Überleben kämpfe, kann ich nicht mehr innovativ sein. Und wenn ich selbst der einzige Unternehmensgegenstand bin, wird es auch schwierig mit Skalierbarkeit, Wachstum und Nachhaltigkeit für die Unternehmensidee.
In der IT-Sparte der Wirtschaftskammer sind schon 70 Prozent aller Mitglieder Ein-Personen-Unternehmen (EPU). Wie geht es denen?
Ich glaube, dass in der IT-Branche etwa 30 Prozent der EPU tatsächlich ums Überleben kämpfen. Die bieten ihre Stunden mittlerweile ab 25 Euro an, was völlig branchenfremd ist und alle unter Druck bringt. Die machen mit Dumpingpreisen den Markt kaputt. Früher habe ich geglaubt, ein EPU ist ein Samenkorn für Unternehmertum, aber es stimmt leider nicht immer. Wer ständig ums Überleben kämpft, ist kein Unternehmen und sollte sich eher wieder anstellen lassen.
Was könnte Abhilfe schaffen?
Ich muss die EPU nach unten absichern, etwa mit einer Art Gefährdungsgrenze. Wenn jemand unter – sagen wir – 30.000 Euro Jahresumsatz bleibt, sollte er sich tatsächlich lieber anstellen lassen. Wenn er dann keinen Job findet, hat er eh ein Qualifikationsproblem. Vielen IT-lern fehlt die kaufmännische Qualifikation als Unternehmer. Und wir haben in der Branche das zunehmende Problem, dass der Mittelstand wegbricht, es gibt fast nur noch große Konzerne und viele EPU. Damit sind wir in Österreich nicht allein. In den USA ist es noch viel gravierender, etwa durch den Trend zum Crowdworking.
Um Schein-Selbstständigkeit zu bekämpfen, führen die Krankenkassen jetzt schon bei Firmengründung eine Vorab-Prüfung der Tätigkeit durch. Schafft das Rechtssicherheit?
Das ist nur eine Schein-Rechtssicherheit. Es ist nur eine vorläufige Prüfung, am Ende zählt doch die GPLA-Prüfung (gemeinsame Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben, Anm.) viel mehr. Die gewerbliche Sozialversicherung hat ja ein Interesse, die Versicherten nicht zu verlieren.
Wie könnte man mehr Ernsthaftigkeit in die Gründerdynamik bringen?
Nicht nur fördern, sondern auch fordern. Ich würde die EPU von Anfang an mehr in die Pflicht nehmen und die Sozialversicherungsbeiträge schon im Vorhinein vorschreiben, nicht wie jetzt erst im Nachhinein. Gründer sollten von Anfang an wissen, wie viel sie einnehmen müssen, damit ihr Unternehmen nicht durch Nachzahlungen im dritten Jahr in Konkurs geht. Es schadet der Wirtschaft, wenn jemand nichts einzahlt, dann einen Privatkonkurs hat und arbeitslos wird. So wird auch verhindert, dass glorreiche Gründer zum Schatten ihrer selbst werden. Und es zeigt sich, wer wirklich Unternehmer werden will.
Peter Lieber (44) hat bisher zwölf Unternehmen gegründet, wovon es neun – zum Teil fusioniert – noch gibt. Seine Software-Schmiede LieberLieber kooperiert eng mit Microsoft und verfügt über eine eigene Niederlassung in den USA.
Software-Verband Lieber ist seit 2014 Präsident des Verbandes österreichischer Softwareindustrie (VÖSI) mit aktuell 40 Mitgliedern, darunter große Konzerne wie Siemens, Atos oder Microsoft ebenso wie kleine und mittlere Unternehmen aus Österreich.