Wirtschaft

"Spekulieren nicht mit Lebensmitteln"

Die Raiffeisen Ware Austria (RWA) ist das Dachunternehmen für Großhandel und Dienstleistungen der Lagerhaus Genossenschaften. Zu den Aufgaben der RWA gehört neben Marketing und dem gemeinsamen Einkauf auch der Getreidehandel. Der Umsatz der Lagerhaus Genossenschaften beträgt jährlich rund fünf Milliarden Euro, abhängig von den jeweiligen Erntemengen. RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf sieht im Markt einen Regelmechanismus für die Lebensmittelproduktion.

KURIER: Weltweit steigt der Bedarf an Nahrungsmitteln. Sollen in Europa mehr Nahrungsmittel produziert werden?

Reinhard Wolf: Europa hat in Summe einen hohen Produktionsstandard. Eine Ausweitung der Produktion hängt vor allem von der Entwicklung der Qualität des Saatgutes ab. Davon erwarte ich mir den größten Produktivitätszuwachs. Weltweit beträgt der Produktivitätszuwachs beim Getreide (ohne Reis, Anm. d. Red.) jährlich fast zwei Prozent.

Kann genug Getreide für die wachsende Weltbevölkerung hergestellt werden?

Verbrauch und Produktivität sind fast parallel gestiegen. Wenn der Verbrauch stärker steigt als die Produktion, dann steigen auch die Preise. Höhere Preise sorgen dafür, dass mehr angebaut wird. Es werden dann auch Flächen genutzt, die sonst nicht für den Getreideanbau eingesetzt werden, weil es sich nicht rentiert. Ist die Produktion höher als die Nachfrage, dann sinken die Preise und es wird weniger angebaut. Es gibt natürlich auch Faktoren, die man nicht beeinflussen kann, wie das Wetter.

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Wird der Markt auch weiterhin für eine höhere Produktivität sorgen?

Mir fällt kein Argument ein, warum die Produktion nicht auch weiterhin gemeinsam mit dem Verbrauch steigen soll. Die großen Treiber bei der Nachfrage nach Nahrungsmitteln sind die wachsende Weltbevölkerung, der steigende Lebensstandard und die Verwendung von landwirtschaftlichen Produkten in der Industrie. Stärke wird auch für die Verpackung von Lebensmitteln verwendet.

Sind deutlich billigere Lebensmittel eine Lösung?

Wenn Sie Afrika oder Südamerika helfen wollen, dann nicht über sehr billige Nahrungsmittel. Bei einem ordentlichen Getreidepreis gehen die Bauern dort nicht in die Ballungszentren, sondern können von dem leben, was sie vor Ort produzieren. Die Landflucht ist ein großes Problem.

Die großen Agrarbörsen haben nicht den besten Ruf. Welche Bedeutung haben die Börsen in Paris und Chicago?

Die Euronext in Paris hat eine Preisleitfunktion für ganz Europa. Viele Landwirte haben die Euronext-Preise am Smartphone. Da ist die Welt zum Dorf geworden. Chicago ist für uns bei Soja von Bedeutung. Wir brauchen die Börse auch für Geschäfte zur Absicherung des Preisrisikos. Spekulieren ist nicht unser Geschäftsmodell.

Gibt es eine Möglichkeit die Schwankungen bei den Börsenpreisen auszugleichen?

Bei unserem Poolmodell bekommen die Landwirte Ende August erst einmal eine Akontozahlung. Wir vermarkten dann das Getreide kontinuierlich bis zum Mai des nächsten Jahres. Dann bekommt die Bauern den Differenzbetrag zum tatsächlichen Vermarktungserlös ausbezahlt. Das Poolmodell bringt keine Spitzenpreise, sondern einen guten Durchschnittspreis. Wenn wir besser sind als der Durchschnitt aller Börsen, haben unsere Händler gut gearbeitet. In Europa gibt es kein vergleichbares Modell. Die Bauern können ihre Getreide natürlich auch nach der Ernte zum jeweils aktuellen Tagespreis verkaufen, wenn ihnen das lieber ist. Wir haben für jeden ein Modell.

An wen und wie viel Getreide verkauft die RWA?

Das Handelsvolumen bei Getreide und Ölsaaten liegt bei knapp drei Millionen Tonnen. Die genossenschaftliche Vermarktung genießt ein hohes Vertrauen bei den Landwirten. Der Hauptmarkt ist Österreich und das angrenzende Ausland. Wir liefern hochwertigen Weizen nach Italien. Unser Kundensegment sind Mühlen, die Futtermittelindustrie und die Verarbeitungsindustrie.

Ist die RWA vom Einfuhrstopp Russlands für Agrarprodukte betroffen?

Wir sind direkt betroffen über unsere Beteiligungsgesellschaft Austria Juice in der Ukraine. Die Fruchtsaftexporte nach Russland sind gestoppt. Wenn die Schweinepreise nach unten gehen, hat das natürlich auch Auswirkungen auf den Futtermittelbereich. Beim Getreide hat der Importstopp nur indirekte Folgen, denn Russland und die Ukraine sind Exportländer.

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Bauern und Gärtner können das Risiko eines Ernteausfalls wegen Hagel und Frost mit staatlicher Unterstützung minimieren. Die Hagelversicherung bietet Versicherungen an, bei denen 50 Prozent der Prämie gemeinsam vom Bund und dem jeweiligen Bundesland übernommen wird. Nun soll dieses Fördermodell gemäß dem Koalitionspakt auch auf Ernteschäden wegen Dürre und Überschwemmungen ausgedehnt werden. Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter wird darüber mit Finanzminister Hans Jörg Schelling verhandeln.

Milchpreis

Laut Rupprechter wird der Rewe-Konzern künftig keine weiteren Schleuderaktionen mit Milch durchführen. Dies habe ihm Rewe-International-Chef Frank Hensel zugesichert. Wegen eines Sonderangebotes im Penny-Markt – ein Liter Milch gratis beim Kauf von einem Liter Milch – hat der Bauernbund eine Anzeige bei der Bundeswettbewerbsbehörde eingebracht. Beanstandet wird der Verkauf von Milch unter dem Einkaufspreis.