Wirtschaft

"Radikaler Kurswechsel, oder Sozialpartnerschaft ist tot"

KURIER: Finanzminister Schelling hat nicht mehr viel Geduld mit den Sozialpartnern. Die Industriellenvereinigung äußert ihren Unmut über die Reformstaus auch sehr deutlich. Hat sich die Sozialpartnerschaft überholt?

Günter Stummvoll: Die alte Sozialpartnerschaft ist Geschichte, wir brauchen eine neue. Sie hat Jahrzehnte lang gut funktioniert, war aber im Grunde genommen immer eine Verteilungspartnerschaft. Diese Zeit ist vorbei, es gibt keine Wachstumszuwächse zu verteilen.

Dass die Industrie über die Sozialpartnerschaft schimpft, ist keine Überraschung. Aber Sie waren doch selbst viele Jahre lang ein sehr engagierter Proponent der Sozialpartnerschaft. Warum dieser plötzliche Meinungswechsel?

Die Sozialpartnerschaft war ein Asset für Österreich, doch die Umweltbedingungen haben sich verändert. Es täte mir leid, wenn die Sozialpartnerschaft den Bach hinuntergeht, aber mit dem antiquierten Kasterldenken der Gewerkschaft wird das passieren. Es muss einen radikalen Kurswechsel zu einer Standortpartnerschaft geben, oder die Sozialpartnerschaft ist wirklich tot.

Jetzt argumentieren Sie wie ein typischer Arbeitgeber-Vertreter, der Sie ja waren. An allem soll die Gewerkschaft schuld sein. Machen Sie es sich nicht zu einfach?

Wir müssen endlich weg vom alten System: Wenn du das willst, dann will ich das. So kommen wir nie weiter, sondern haben nur Stillstand. Folgendes Beispiel: Die Betriebe wollen flexiblere Arbeitszeiten. Die Arbeitnehmer forderten dafür die sechste Urlaubswoche, eine generelle Arbeitszeitverkürzung, höhere Belastung der Überstunden und Strafzahlungen für die Kündigung älterer Arbeitnehmer. Also nur zustimmen, wenn man im Gegenzug etwas dafür bekommt. Es geht doch längst nicht mehr darum, wie verteilen wir den Wohlstand gerecht, sondern darum, wie können wir den Standort und die Arbeitsplätze erhalten. Natürlich war es für die Gewerkschaft angenehmer, den Wohlstand zu verteilen.

Für die Unternehmer auch.

Ja, für beide. Jahr für Jahr rutscht Österreich in allen wichtigen Rankings nach unten. Wir haben das dritt-niedrigste Wachstumspotenzial – unter allen OECD-Ländern, wohlgemerkt. Überall leuchten die Warnsignale und die Sozialpartner bringen keine Reformen zustande. Unsere Betriebe sind tüchtig genug, die können ihre Gewinne in Zukunft auch im Ausland machen.

Sie haben den Malus für die Kündigung älterer Arbeitnehmer erwähnt. Welchen Vorschlag haben Sie eigentlich?

Mit einer Strafsteuer verschlechtert man die Chancen Älterer, die bei den Arbeitskosten nicht mehr konkurrenzfähig sind, noch mehr.

Also runter mit den Löhnen?

Nein. Eine Verflachung der Lebenseinkommenskurve dauert viele Jahre. Die Zusazkosten müssen hinunter. Es muss gelingen, die Lohnnebenkosten für Ältere um zehn Prozent zu reduzieren. Das ist durchaus realistisch. Aber Bundeskanzler Werner Faymann wird nichts ohne Zustimmung des ÖGB machen. Erinnern Sie sich doch, die SPÖ hat das Steuerreform-Konzept des ÖGB zu hundert Prozent übernommen. Die Gewerkschaft ist heute der einzige starke Machtfaktor in der SPÖ.

Sehen Sie das als Grund, warum auch die Regierung keine Reformen schafft? Ja, wir haben den doppelten Stillstand. Auf Regierungsebene und bei den Sozialpartnern.

Wie realistisch ist eine Sozialpartnerschaft neu?

Ich halte einen Kurswechsel durchaus für möglich. Weil ich von vielen Gesprächen mit Betriebsräten weiß, dass sie diese Gedanken teilen. Die Spitzen der Gewerkschaft sind allerdings noch nicht so weit. Die Wirtschaft besteht aber nicht nur aus dem Rechenstift, sondern auch aus Stimmung.

Eben, permanent schlechte Stimmung machen schadet der Wirtschaft auch.

Die Stimmung in den Betrieben ist aber so schlecht wie seit 30 Jahren nicht mehr. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn die Unternehmer derzeit bei Investitionen derart zurückhaltend sind. In Österreich wird so viel über Umweltverträglichkeit geredet, aber Standortverträglichkeit ist bei jedem neuen Vorschlag genauso wichtig.

Wenn die Sozialpartner nicht weitertun, will Schelling Reformen alleine durchziehen. Wie hoch schätzen Sie seine Erfolgschancen ein?Ich schaue mir an, ob Faymann bereit ist, mitzugehen. Ich lasse mich aber gerne überraschen! Die beste Förderung für die Wirtschaft wäre, die Betriebe eine Zeit lang in Ruhe arbeiten zu lassen. Und nicht ständig mit neuen Belastungen und neuer Bürokratie zu kommen.

Schulterschluss für den Standort

Stummvoll ist Sprecher der „Aktionsplattform für Leistung und Eigentum“, die sich für die Stärkung des Wirtschaftsstandortes einsetzt. Mitglieder der Plattform sind u. a. die Wirtschaftskammer Österreich, die Industriellenvereinigung, der Verband der Privatstiftungen, die Landwirtschaftskammer, die Kammer der Wirtschaftstreuhänder, der Handelsverband, die Rechtsanwaltskammer, der Raiffeisenverband, der Bund der Steuerzahler und die Hoteliersvereinigung.

Der ÖVP-Politiker war lange Nationalratsabgeordneter, Bundesrat und Finanz-Staatssekretär. Er begann seine Karriere in der Industriellenvereinigung. Von 1992 bis 2000 war Stummvoll als Generalsekretär der Wirtschaftskammer direkter Vertreter der Sozialpartner.