Milliardengeschäft Diabetes
Von Anita Staudacher
Sieht aus wie ein Kugelschreiber, ist aber ein Hightech-Medizinprodukt, bei dem es auf die richtige Dosis ankommt: Bis zu einer Million so genannter "Insulin-Pens" zur Selbstinjektion für Diabetiker rollen täglich bei Sanofi in Frankfurt vom Band und werden in mehr als 100 Länder weltweit versendet.
Seit der Übernahme von Aventis im Jahr 2004 betreibt der französische Pharmariese am Standort des ehemaligen deutschen Chemiekonzerns Höchst den größten Insulin-Produktionsstandort der Welt. In der "Insulin-City" werden jährlich 2300 Tonnen des Blutzucker senkenden Wirkstoffs industriell hergestellt und in 600 Millionen Ampullen sowie mehr als 300 Millionen fix fertigen Insulin-Pens abgefüllt. Produziert wird rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.
Die Befüllung der Kartuschen und der Einbau in die Pens erfolgt weitgehend automatisiert. Um Stimmung in die Fabrik zu bringen – und auch um auf sich aufmerksam zu machen – fungieren die Transportroboter als eine Art "Juke Box" und spielen von der Belegschaft zuvor ausgewählte Songs ab. Sanofi beschäftigt insgesamt 7500 Mitarbeiter am größten Standort in Deutschland, davon 1200 in der Forschung.
Kritische Masse
Der hohe Automatisierungsgrad, aber auch die logistisch ideale Lage neben dem internationalen Flughafen spreche für eine zentrale Produktion, erläutert Malte Greune, zuständiger Bereichsleiter in Frankfurt, bei der Werksbesichtigung des KURIER. Insulin brauche eine kritische Masse, um es profitabel herstellen zu können, so Greune, "es wird nicht günstiger, wenn die Produktion nach Brasilien wandert".
Analysten erwarten, dass der globale Diabetes-Markt bis 2020 ein Volumen von 63 Mrd. Dollar (57 Mrd. Euro) erreichen wird, das entspricht jährlichen Steigerungsraten von zehn Prozent. Sanofi zählt neben dem US-Konzern Eli Lilly und der dänischen Firma Novo Nordisk zu den weltweit führenden Anbietern von Insulin-Präparaten. Doch das Match um den globalen Diabetes-Thron wird härter, es tobt ein erbitterter Preiskampf.
Patentablauf
Lantus (SoloStar), eines der meistverkauften Insuline weltweit, und mit sechs Mrd. Euro mit Abstand größter Umsatzbringer von Sanofi, verlor im Frühjahr seinen Patentschutz. Seither nascht neue Konkurrenz mit günstigeren, nachgeahmten Präparaten am üppigen Diabetes-Kuchen fleißig mit und knabbert an den Lantus-Umsätzen. In Deutschland ist seit September das erste biotechnologisch hergestellte Insulin von Eli Lilly und Boehringer Ingelheim auf den Markt.
In der Vorwoche musste Sanofi seine Erwartungen für das Diabetes-Geschäft nach unten korrigieren. In den USA büßte Lantus im abgelaufenen Quartal bereits 10,8 Prozent des Umsatzes ein, bis 2018 erwartet Sanofi ein jährliches Umsatzminus von vier bis acht Prozent. Bei den Investoren kam die Nachricht gar nicht gut an, die Aktie gab um vier Prozent nach. Am Freitag will Sanofi-Chef Olivier Brandicourt eine neue Strategie für die Diabetes-Sparte präsentieren, Analysten schließen auch eine größere Übernahme nicht aus.
Beim Pressetermin in Frankfurt wirbt Sanofi vor allem für sein neues, verbessertes Insulin namens Toujeo, das nächstes Jahr auch in Österreich erhältlich sein wird. Toujeo soll das Umsatzminus von Lantus eindämmen. Angesichts vermehrter Konkurrenz und Spardiktat der Kassen bleibt der Preis gleich.
Im Vergleich zu Lantus ist das Insulin konzentrierter. Es wirke langsamer, dafür noch länger, wird versichert. Der SoloStar-Pen sei in der Handhabung noch komfortabler, was älteren Menschen zugute komme. Diese hätten nicht immer die Kraft, die Stifte ordentlich durchzudrücken. In Deutschland und Kanada ist das Produkt bereits auf den Markt, weshalb die Produktion in Frankfurt kürzlich erweitert wurde. "Die Insulin-Geschichte ist noch lange nicht zu Ende", meint Jochen Maas, F&E-Leiter der "Insulin-City" und verweist auf die Historie des Standortes. Das erste Insulin wurde hier 1923 hergestellt.
Unternehmen Die Sanofi-Gruppe mit Sitz in Paris ist der viertgrößte Pharmakonzern der Welt und v.a. in den Bereichen Diabetes, Cholesterin, Herzkreislauf-Erkrankungen, Onkologie, seltene Krankheiten, Impfstoffe und Tiergesundheit tätig. Im dritten Quartal legte der Umsatz um 3,4 Prozent auf 9,6 Mrd. Euro zu, der Gewinn stieg um 5 Prozent auf 2,1 Mrd. Euro. Weltweit sind 110.000 Mitarbeiter beschäftigt, 7500 davon in Frankfurt-Höchst. Sanofi übernahm 2004 Aventis (Fusion Höchst AG und Rhône-Poulenc)
Österreich In Österreich beschäftigt Sanofi 105 Mitarbeiter und kooperiert seit kurzem mit dem Wiener Biotech-Firma Apeiron von Josef Penninger im Bereich Krebs-Immuntherapie.