Wirtschaft

ORF: Eine riskante Standort-Entscheidung

Bevor die Stiftungsräte des ORF am kommenden Donnerstag den Antrag von Generaldirektor Alexander Wrabetz über die Sanierung des Küniglbergs und die Konzentration aller Standorte ebendort absegnen, ist allen Beteiligten das Studium von ORF-Gesetz und Aktienrecht empfohlen. Es geht immerhin um die wichtigste Entscheidung für die nächsten 30 Jahre. Sollte sich diese als Fehlgriff herausstellen, können die Konsequenzen für Wrabetz und die Stiftungsräte unangenehm und teuer werden.

Nach dem fast neun Jahre dauernden Eiertanz um die Standortfrage, darf bezweifelt werden, ob der Verbleib am Berg tatsächlich die wirtschaftlich beste Lösung ist. Weil er keine Chance mehr sah, den von ihm lange favorisierten Neubau auf dem Gelände der ehemaligen Schlachthöfe im Wiener Stadtentwicklungsgebiet Neu Marx mit breiter Mehrheit im Stiftungsrat durchzubringen, schubladisierte Wrabetz diese Alternative. Um die, wenig überraschend, parteipolitisch heftig gezankt wurde. Weil Wiens roter Bürgermeister Michael Häupl den ORF auf ein Areal unmittelbar neben dem Mediencluster der Stadt bringen wollte, intrigierte die ÖVP reflexartig dagegen. Und die Bundes-SPÖ hält sich heraus.

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Eine großartige Basis für eine Entscheidung von derartiger Tragweite. Wrabetz (Bild) jedenfalls wird wie erwartet am Donnerstag in seinem Antrag an die Stiftungsräte nur noch den Küniglberg präsentieren. 303,7 Millionen Euro sind unter "Konsolidierung" veranschlagt, inklusive der Finanzierungskosten 407 Millionen Euro. Alle Standorte sollen zusammengeführt und das Radio aus dem denkmalgeschützten Funkhaus in der Argentinierstraße übersiedeln. Das sanierungsbedürftige ORF-Zentrum am Berg wird modernisiert und ein multifunktionaler Newsroom dazugebaut.

Die Variante zwei – alle Standorte bleiben wie gehabt, Zentrale und Funkhaus werden adaptiert – ist mit Baukosten von 296,9 Millionen veranschlagt. Kommt aber ohnehin nicht in Frage.

Der Neubau auf der grünen Wiese an der Südost-Tangente würde sich (ohne Finanzierungskosten) auf knapp 222 Millionen Euro summieren. Das Risiko eines Bau-Desasters ähnlich dem Skylink-Debakel am Flughafen Wien ließe sich ausschalten. Der ORF könnte einen professionellen Immobilien-Entwickler beauftragen und zur Miete einziehen.

Im April 2009 berichtete Wrabetz dem Stiftungsrat, "dass unter Heranziehung der bereits durchgeführten Wirtschaftlichkeitsstudie und bei einer Straffung des Flächenbedarfs und der technischen Ausstattung der Neubau einen signifikanten Vorteil ggü. einer Generalsanierung des ORF-Zentrums am Küniglberg hat".

Am 7. November 2011 reportiert der Generaldirektor in einer Wirtschaftlichkeitsrechnung an die stiftungsrätliche Arbeitsgruppe zur Immobilien- und Standortfrage: "Sanierungsszenario vs. Neubauszenario unter Berücksichtigung des langen Betrachtungszeitraums immobilienwirtschaftlich gleichwertig". Er listet unter den Chancen durch einen Neubau die Schaffung optimaler Strukturen für digitale Technologie, bessere Anbindung ans Stadtzentrum sowie eine signifikante Senkung laufender Betriebskosten auf. Diese wären beim Neubau im Jahr um 4,1 Millionen (43 Prozent) niedriger. Bei den jährlichen Erhaltungskosten von 1,2 Millionen beliefe sich die Ersparnis auf 73 Prozent.

Ein 2012 internes ORF-Papier über den Objektschutz bekommen die Stiftungsräte offiziell nie zu sehen. Hier geht es um das Gefahrenpotenzial durch Sabotage und Anschläge bis zum seismischen Schutz. Der ORF muss auch bei Erdbeben seinem Sendeauftrag nachkommen. Die Neubau-Variante wird wesentlich besser beurteilt, außerdem wird davor gewarnt, der ORF könnte mit einer Sanierung bei laufendem Betrieb "tagelang die Sendefähigkeit verlieren". Schließlich werde kein Büro- sondern ein Rundfunksendegebäude saniert, "dessen technische Sendestruktur nicht wie eine Bürostehlampe und Laptop von einem Zimmer in das nächste getragen werden kann".

Im März 2012 kommt der Berater Accenture in einer Barwert-Berechnung zum Ergebnis, dass der Neubau teurer sei. Bei einer Neukalkulation im Mai ist der Neubau plötzlich geringfügig günstiger.

Am 4. Juni 2012 berichtet Wrabetz der stiftungsrätlichen Arbeitsgruppe: "Alle Szenarien liegen sehr nahe beisammen. Am günstigsten ist die Variante Neubau." Unter "Schlussfolgerung/weitere Schritte" heißt es: "Somit ist die Variante Neubau aus strategischen und ökonomischen Gründen sinnvoll und ermöglicht die zukunftssichere Neupositionierung des ORF als trimediales Unternehmen".

Nur drei Monate später, am 10. September 2012, ereignet sich Bemerkenswertes. Stiftungsräte des Ausschusses für Finanzen und Technik lassen Wrabetz seinen Antrag für den Terminplan, die weitere Vorgangsweise und ein Raum- und Funktionsprogramm umschreiben. Die Formulierung "Standort", die noch alles offen ließe, wird durch "Standort Küniglberg" ersetzt. Somit hat sich der Neubau de facto erledigt.

"Damit gibt der Stiftungsrat der Geschäftsführung vor, was zu passieren hat. Eine rechtlich nicht zulässige Vorgangsweise und somit ein vorschriftswidriges Vorgehen gegen die Interessen des Unternehmens", meint ein Rechtsexperte. Gemäß ORF-Gesetz haben die Stiftungsräte "dieselbe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit wie Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft". Über Ansprüche gegen die Räte "entscheiden die ordentlichen Gerichte nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung". Die Stiftungsräte haben bei wichtigen Fragen ein Zustimmungsrecht, dürfen aber die Führung der Geschäfte weder inhaltlich noch terminlich vorgeben.

Fügt sich die Geschäftsführung des ORF der Einmischung von Stiftungsräten, handelt sie laut Expertenmeinung sorgfaltswidrig. Womit die persönliche Haftung nach dem Aktiengesetz ins Spiel kommt. Ein Vorstand muss ausschließlich im Interesse und zum Wohl des Unternehmens agieren und darf sich vom Aufsichtsrat nichts Gegenteiliges aufzwingen lassen.

Was aber tun, wenn man sich beim Stiftungsrat nicht durchsetzt? Dann müsste der ORF-Generaldirektor in letzter Konsequenz zurücktreten. Bei Wrabetz freilich nie und nimmer vorstellbar.

"Die Investitionsberechnungen des ORF mit Accenture haben ergeben, dass alle drei Varianten auf 30 Jahre gerechnet kostenmäßig sehr nahe beisammen liegen", argumentiert ORF-Sprecher Martin Biedermann. Nachsatz: "Für eine Neubau-Variante gibt es nicht genügend Unterstützung seitens des Stiftungsrates und der Politik."