Österreicher sind länger krank als anderswo
Von Simone Hoepke
Eigentlich ist Österreich ja fast ein Vorzugsschüler. Wären da nicht ein paar altbekannte Problemfelder, wie die länderspezifischen Empfehlungen der Europäischen Kommission zeigen.
"Die Österreicher geben für den Krankenhaussektor viel Geld aus. Die Qualität, die sie dafür bekommen, ist aber maximal europäisches Mittelfeld", kritisiert Marc Fähndrich, wirtschaftspolitischer Berater der Kommission. "Die Österreicher sind auch deutlich länger krank als Menschen in anderen EU-Ländern", fügt er hinzu. Demnach sind sie durchschnittlich 58 Jahre gesund, um vier Jahre weniger als andere Europäer. Und: "Die Österreicher sind oft im Spital", diagnostiziert er. Schuld daran sei vor allem der Föderalismus. Da die Länder zwar für die Krankenhaussektor zuständig sind, aber nur die Hälfte der Kosten selbst tragen müssen, werde die Gesundheitspolitik benutzt, um Arbeits- und Strukturpolitik zu machen. "Es wird mehr operiert, als notwendig", folgert Fähndrich.
Hohe Gesundheitsausgaben
Kurzum: Die hohen Gesundheitsausgaben im Land sind in erster Linie dem großen Spitalssektor geschuldet, während die kostengünstigere ambulante Versorgung nicht ausreichend genutzt wird, attestiert die Kommission. Der Sektor sei ineffizient, der Anteil der Ausgaben für Spitäler an den gesamten Gesundheitskosten einer der höchsten der EU. Zudem wird hierzulande zum Beispiel beim Ankauf neuer Geräte deutlich seltener eine Ausschreibung gemacht als in anderen Ländern – es wird daher wohl auch teuer eingekauft. Oft würde nur eine einzige Firma ein Angebot legen, fällt der Kommission auf. Daher sollten öffentliche Aufträge verstärkt EU-weit ausgeschrieben werden.
Die Experten empfehlen Österreich unter anderem, die Einnahmen- und Ausgabenverantwortung zusammenzuführen und das "exzessive Ausmaß an Hospitalisierungen" zu reduzieren. Mit Incentives soll "die überflüssige Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen reduziert werden". Demnach werden in Österreich um ein Drittel mehr Leistungen in Anspruch genommen als im EU-Durchschnitt.
Frauen später in Pension schicken
Das zweite große Problemfeld in Österreich sind die Pensionen. Bis zum Jahr 2060 wird die Lebenserwartung von Männern auf 85, jene von Frauen auf 89 Jahren steigen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Aufgrund der relativ niedrigen Geburtenrate (1,46 Kinder) rücken wenige Junge nach, die ins Pensionssystem einzahlen.
Zudem liegt das effektive Pensionsantrittsalter in Österreich bei 60 Jahren und drei Monaten – im EU-Durchschnitt hingegen bei 63 Jahren. Mit der Lebenserwartung muss auch das Pensionsantrittsalter steigen, sagen die Experten, finden damit bei wahlkämpfenden Politikern aber wenig Gehör.
Geht es nach der Kommission, müsste auch das gesetzliche Pensionsalter für Männer und Frauen früher harmonisiert werden. Fähndrich: "Aus welchem Grund sollte jemand, der statistisch älter wird und länger gesund ist, früher in Pension gehen?" Er stellt die gelebte Praxis, dass Beschäftigte früh in die Pension geschickt werden, um den Arbeitsmarkt zu entlasten, infrage.
Auch der Dauerbrenner Kinderbetreuungsplätze kommt bei der Zeugnisvergabe der Kommission vor. In Österreich arbeiten nämlich besonders viele Frauen Teilzeit – es mangelt an Betreuungsplätzen.
Laut dem Barcelona-Ziel der EU sollte ein Drittel der Unter-Drei-Jährigen einen Platz haben, in Österreich sind es nur 25,5 Prozent. Wobei die Quote von Wien nach oben gezogen wird – in der Steiermark liegt sie beispielsweise bei nur 13,4 Prozent. Aufholbedarf sieht die Kommission zudem bei der Bildung benachteiligter Jugendlicher und den Investitionen in den Dienstleistungssektor.