Wirtschaft

Ökonom Kramer fordert flachere Gehaltskurve

Die (R)evolution auf dem Arbeitsmarkt hat längst begonnen. Schon in drei Jahren werden mehr als eine Million Erwerbstätige in Österreich mehr als 50 Jahre alt sein. Der KURIER sprach mit Helmut Kramer, Leiter der Österreichischen Plattform für interdisziplinäre Alternsfragen (ÖPIA), über ungleiche Lebenseinkommen, Strafen für Betriebe, Reform der Zuverdienstgrenzen und den Mythos der Jobverdrängung.

KURIER: Die Beschäftigung bei den über 50-Jährigen steigt. Einzelne Firmen beginnen auf der verzweifelten Suche nach Fachkräften ihre Rentner zu reaktivieren. Hat der Jugendwahn am Arbeitsmarkt bald ausgedient?

Helmut Kramer: Es setzt sich zumindest allmählich die Erkenntnis durch, dass Ältere auch noch mehr leisten können als Rosen zu züchten. In den nächsten Jahren wird die Beschäftigung bis ins hohe Alter aus demografischen Gründen zum heißen Thema, aber in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit ist das unpopulär.

Wir sollen alle länger arbeiten. Aber ist der heimische Arbeitsmarkt überhaupt reif für die Generation 60 plus?

Nein, da gibt es noch eine Reihe von Hindernissen zu bewältigen. Zum einen das sehr stark ausgeprägte Senioritätsprinzip, das Ältere im Vergleich zu Jüngeren einfach teurer macht. Die Gehaltskurve muss flacher werden. Und zum anderen gibt es eine noch wenig etablierte Weiterbildung, die die Qualifikationsunterschiede im Alter ausgleicht.

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Bei der Abflachung der Gehaltskurve mit steigendem Alter ist Österreich laut OECD seit Jahren säumig. Haben die Sozialpartner da eine Entwicklung versäumt?

Die Sozialpartner hätten das Thema bei den Kollektivvertragsverhandlungen längst schon angehen müssen. Bei den Beamten wird ja gerade daran gearbeitet. Das Problem ist, dass diese Maßnahmen erst in vielen Jahren greifen. Wenn in teuren Altverträgen nicht eingegriffen werden kann und Berufseinsteiger mehr verdienen sollen, wird es zunächst sogar noch teurer. Ich halte es auch für sinnvoll, dass Gehaltsvorrückungen mit Weiterbildungsmaßnahmen verknüpft werden.

Realität ist auch, dass über 50-Jährige in Betrieben aus Kostengründen hinausgemobbt oder mit Sozialplänen abgebaut werden. Arbeitnehmervertreter wollen Betriebe dafür bestrafen, dass sie kaum Ältere beschäftigen. Funktioniert das?

Bestrafung hat einen unguten Beigeschmack, das funktioniert meistens nicht. Hier muss die Möglichkeit der Abwälzung von Gehaltszahlungen an die Allgemeinheit eingeschränkt werden. Damit Ältere nicht auf der Abschussliste stehen, muss auch die lebenslange Weiterbildung forciert werden, und zwar auf beiden Seiten.

Während in anderen Ländern Job-Anreize für Pensionisten geschaffen werden, hat Österreich die EU-weit strengsten Zuverdienstgrenzen bei Frühpensionisten. Noch zeitgemäß?

Dass jemand seine Pension komplett verliert, auch wenn er nur einen Cent mehr als geringfügig dazuverdient, halte ich nicht mehr für zeitgemäß. Das betrifft schließlich eine große Gruppe. Statt enger Regeln sollte es flexible Kombi-Modelle aus Einkommen und Pensionsbezug geben. Ich bin generell für eine Flexibilisierung des Pensionsan­tritts mit Zu- und Abschlägen. Die Menschen sind mit 60 Jahren doch höchst unterschiedlich und viele Pensionsregelungen stammen noch aus einer Zeit, wo man mit 60 auf jeden Fall verbraucht war.

Welche Anreize braucht es noch, damit Ältere länger arbeiten und Betriebe auch ältere Mitarbeiter einstellen?

Was mir noch einfällt: Es sollte nicht sein, dass jemand nur aus dem Grund gekündigt wird, weil er das gesetzliche Pensionsalter erreicht hat. Das ist eindeutig altersdiskriminierend. Bei den Beamten gibt es dazu schon ein EuGH-Urteil.

Bleiben Ältere länger im Job, bedeutet dies aber auch weniger Arbeitsplätze für jugendliche Berufseinsteiger. Stimmt das?

Nein, das stimmt nicht. Dass die Alten den Jungen die Jobs wegnehmen ist wissenschaftlich x-mal widerlegt. Zumindest gesamtwirtschaftlich gesehen. Hohe Jugendarbeitslosigkeit hat nichts mit hoher Erwerbsquote bei Älteren zu tun sondern hat andere Ursachen wie schlechte Qualifikation. Die produktivsten Betriebe sind jene, die einen guten Mix aus älteren und jüngeren Mitarbeitern haben.

Zur Person: Helmut KramerEx-WIFO-Chef Der Ökonom Helmut Kramer (73) arbeitete 34 Jahre lang am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO), das er von 1981 bis 2005 leitete. Bis zu seiner Pensionierung 2007 war er Rektor der Donau-Universität in Krems.

Alternsforscher Heute leitet Kramer die Österreichische Plattform für interdisziplinäre Alternsfragen (ÖPIA), die 2010 von einer Gruppe hochrangiger österreichischer Wissenschaftler gegründet wurde. Das "n" in Altern soll den Prozess des Älterwerdens und den breiten Forschungsansatz verdeutlichen. www.oepia.at