Wirtschaft

Nur jeder Siebente fährt auf Skiurlaub

Skifahren ist kein Volkssport mehr, auch in Holland und Deutschland gibt es immer weniger Wintersportler. Aber wer das in Österreich laut sagt, gilt als Nestbeschmutzer, sagt Tourismus- und Freizeitforscher Peter Zellmann. Der Seilbahnwirtschaft rät er, in Gastfreundschaft zu investieren.

KURIER: In der Hochleistungsgesellschaft will niemand mehr den Urlaub faul auf der Strandliege verbringen. Stimmt das wirklich?

Peter Zellmann: Nein, diese Bewegungshysterie, die da unterstellt wird, findet so nicht statt. Nur 30 Prozent der Österreicher machen überhaupt Sport. Fitnesscenter-Betreiber sprechen von einem Boom, weil sich mehr Leute einschreiben. Dass sich auf der anderen Seite gleich viele wieder abmelden, sagen sie halt nicht dazu.

Warum bewerben dann alle den Aktivurlaub?

Weil die Leute in Umfragen sagen, dass sie im Urlaub auch Sport machen werden. Das heißt noch lange nicht, dass sie es tun. Ein Phänomen ähnlich den Wahlumfragen – niemand wählt die FPÖ und trotzdem gewinnt sie. Im Sommerurlaub ist prinzipiell mehr Muße, Lesen, Faulenzen, individuelle Freizeitgestaltung angesagt. Im Winter geht es um Massentourismus, 80 Prozent des Umsatzes hängen mit dem klassischen Pisten-Erlebnis zusammen.

Österreich – eine Nation von Skifahrern! Stimmt das?

In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Anteil der Nicht-Skifahrer von 40 auf 60 Prozent erhöht. Wir glauben immer, dass der gelernte Österreicher im Sommer zwei Wochen nach Griechenland und im Winter eine Woche nach Tirol fährt. Das stimmt nicht. Nur 15 Prozent der Bevölkerung fahren auf Skiurlaub.

Kann man Skifahren noch als Volkssport bezeichnen?

Nein, schon lange nicht mehr. Es ist ein Sport für die Mittel- und vielmehr für die Oberschicht. Auch in Deutschland und Holland gibt es immer weniger Skifahrer. Wenn man das laut sagt, wird man in Österreich aber gleich als Nestbeschmutzer hingestellt. Es gibt ja auch keine unaufgeregte Grundlagenforschung im heimischen Tourismus, alles nur Auftragsarbeiten.

Werden Liftkarten um 50 Euro Skifahrer abschrecken?

Nein, dass die 50-Euro-Grenze überschritten ist, gibt den Kritikern Aufwind, aber deswegen ändert sich das Buchungsverhalten so schnell nicht. Gefährlich ist aber, dass kleinere Skigebiete in der Nähe der Städte schließen, die Kinder nicht mehr Ski fahren lernen und deren Eltern verstärkt der Meinung sind, dass Ski fahren ein reiner Luxussport ist.

Heuer stehen die Zeichen aber eher auf Rekord-Tourismusjahr, oder?

Ja, das wäre ein guter Zeitpunkt, um in die Zukunft zu investieren. Der gelernte Österreicher lehnt sich aber zurück, sagt "der Gewinn könnt’ zwar besser sein, aber passt eh. Ich tu’ jetzt nix investieren."

Die Seilbahnwirtschaft hat allein heuer 500 Millionen Euro investiert. Nicht nichts, oder?

Der Verdienst der Seilbahnen ist unbestritten. Nicht nur im Winter, auch im Sommer. Aber das ist Hardware, wir brauchen auch Software, Gastfreundschaft, Empathie ...

Empathische Liftwarte?

Ich meine, die Seilbahnwirtschaft könnte auch zehn Prozent weniger in Sitzheizungen investieren und das Geld für Mitarbeiter ausgeben, die den ganzen Tag auf den Pisten und in den Hütten unterwegs sind.

Um was zu tun?

Um mit Gästen zu reden. Zu fragen, wo sie Verbesserungsvorschläge sehen. Das wird nicht einmal angedacht. Da wird lieber am Gast vorbei investiert. Im Sommer könnten sie die Wanderwege abgehen – da hätten die Gäste sicher viele Anmerkungen, von der Hütte bis zur Wegbeschreibung. Solche Leute bräuchten alle – vom Hotel bis zur Tourismusregion. Nur so kann das Angebot verbessert werden. Und dann fragt kein Gast, warum er drei Euro mehr fürs Zimmer zahlt. Dienstleistung ist im 21. Jahrhundert der Schlüssel zum Geldverdienen.

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Auch Software-Entwickler brauchen Empathie, sonst entwickeln sie Apps, die kein Mensch braucht. Die Apps und Smartphones sind übrigens der einzige Trend im Tourismus. Und nicht der Kreuzfahrtboom, von dem Veranstalter gern berichten.

Machen nicht mehr Menschen Urlaub auf Schiffen?

Kreuzfahrten bedienen jene, die in kurzer Zeit möglichst viel erleben wollen. Das ist kein Modetrend, kein Boom. Früher waren sechs bis sieben Prozent der Österreicher Kreuzfahrer, heute acht bis neun Prozent. Eine erfreuliche Entwicklung für Anbieter. Auch als die Flugverbindungen nach Dubai verdoppelt wurden, war das für einzelne Veranstalter ein Boom. Aber die breite Masse ist nie nach Dubai geflogen.

Wird die Flüchtlingsthematik Ihrer Meinung nach den Wintertourismus beeinträchtigen?

Nur wenn über Wochen hinweg über lange Wartezeiten an den Grenzübergängen berichtet wird. Dann werden heuer viele lieber woanders hinfahren – das beeinträchtigt die individuelle Lebensqualität nicht und wird dem Urlauber egal sein. Nächstes Jahr wird er wiederkommen.

Der Hotelier wird nicht so gelassen sein wie Sie ...

Man muss die Kirche im Dorf lassen.

Was ist passiert, als vergangenen Winter 30 Prozent weniger Russen nach Österreich gekommen sind? Nichts, weil das volkswirtschaftlich null Bedeutung hatte. Auch wenn ein paar Betriebe, die sich auf Russen spezialisiert haben, weniger Geschäft hatten.

Peter Zellmann

Der 67-Jährige ist seit 1987 Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen die Wünsche und das tatsächliche Verhalten der Menschen bei der Freizeit- und Urlaubsgestaltung. So gibt in Umfragen fast jeder an, einen Urlaub zu planen, tatsächlich bleibt dann aber jeder Zweite zu Hause, zeigen Zellmanns langjährige Analysen. Knapp ein Drittel der Reisenden verbringt den Haupturlaub in Österreich – die beliebtesten Reiseziele sind Kärnten und die Steiermark. Bei Auslandreisen stehen Italien, Kroatien, Spanien, Griechenland und die Türkei ganz oben auf der Beliebtheitsskala.

Neuerscheinung

Zellmann war Lehrbeauftragter an mehreren Unis und Hochschulen in Österreich und Deutschland und hat zahlreiche Bücher verfasst. Diese Woche ist „Die Urlaubsrepublik“ im Manz-Verlag erschienen (240 Seiten, 21,90 Euro).