Wirtschaft

Nicht einmal Experten kapieren Steuersystem

Ein Lohnverrechner braucht die Präzision eines Schweizer Uhrmachers und die Leidensfähigkeit von Donald Duck“, klagt Bernhard Gröhs, Leiter der Arbeitsgruppe Steuerpolitik in der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, über die ausgeuferte Bürokratie im österreichischen Steuer- und Abgabensystem. Mittlerweile haben nicht einmal mehr die Wirtschaftstreuhänder den genauen Überblick, deren Job es eigentlich wäre, Unternehmen sicher durch das Steuerdickicht zu lotsen.

Der leidgeprüfte Lohnverrechner muss sich zum Beispiel in einem Gestrüpp von mehr als 360 Beitragsgruppen zurechtfinden. Nur die Steuergesetze des Bundes füllen 1520 eng bedruckte Seiten. Dazu braucht es aber noch die Erlässe – für das Jahr 2013 und die Einkommensteuer sind das 1408 Seiten. Die Lohnsteuer-Erlässe 2013 füllen 750 Seiten. Die Körperschaftsteuer-Erlässe sind 1199 dick und die Umsatzsteuer benötigt 1624 Seiten.

„Das österreichische Steuersystem ist an der Grenze zur Administrierbarkeit. Wenn wir hier nichts tun, geht der Standort Österreich im internationalen Wettbewerb schlicht und einfach unter“, warnt Klaus Hübner, Präsident der Wirtschaftstreuhänder, eindringlich Struktur-Reformen ein. Erst dann könne man über eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer reden, „die frühestens 2016 vertretbar ist“.

Lohnnebenkosten

Im Durchschnitt summieren sich in Österreich auf 100 Euro Bruttoverdienst zusätzlich 37 Euro an Lohnnebenkosten – um 37 Prozent mehr als beim wichtigsten Handelspartner Deutschland.

Die Wirtschaftstreuhänder fordern daher die Zusammenlegung der derzeit 15 Sozialversicherungsträger, die alle Beiträge einheben, auf ein bis drei Institutionen. Ein Langzeit-Thema. Hübner kann sich noch an eine Arbeitsgruppe mit dem Sozialministerium über die Fusion der Kassen erinnern, die freilich sanft entschlummerte. Das war vor 30 Jahren.

Die Bemessungsgrundlage für Sozialversicherung und Lohnsteuer sollte vereinheitlicht und von einer Behörde eingehoben werden, die überbordende Zahl der Beitragsgruppen auf drei reduziert werden. Bei den Gemeinde-Abgaben stößt den Experten die Wiener U-Bahn-Steuer besonders auf, angeblich ein weltweites Unikum. Durch eine radikale Reform könnten die Lohnnebenkosten um einen Prozentpunkt pro Jahr gesenkt werden.

Tarifreform

Mehr als 1,5 Milliarden Euro sind nach den Berechnungen der Wirtschaftstreuhänder für eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer nicht realistisch. Das wären pro Steuerzahler durchschnittlich 400 Euro Netto-Entlastung im Jahr. Damit könnte der Eingangs-Steuersatz von derzeit 36,5 auf 25 Prozent gesenkt werden, der Spitzensteuersatz von 50 Prozent sollte erst ab 250.000 Euro greifen.

Finanzierbar wäre diese Reform durch die Abschaffung der zahlreichen Begünstigungen und Ausnahmen (Überstunden, Taggelder usw.) sowie die Streichung der Begünstigung des 13. und 14. Gehaltes. Von Vermögenssteuern halten die Experten nichts, die Abgabenquote sei mit 44,3 Prozent ohnehin viel zu hoch.

Kraut und Rüben: In der Politdebatte über Vermögenssteuern gerät einiges durcheinander, kritisieren die Ökonomen des Vereins ProMarktwirtschaft. Ein oft gehörtes Argument ist, dass Österreich mit 0,5 Prozent Anteil an der Wirtschaftsleistung viel weniger Vermögenssteuern einhebe als der Durchschnitt der OECD-Länder (1,8 Prozent).

Falsch, sagt Josef Christl, Ex-Notenbanker und Berater: Die Zahlen seien verzerrt. In Ländern wie Großbritannien oder USA sind die Grund- und Immobiliensteuern viel höher, weil kommunale Dienstleistungen wie die Abfallentsorgung daraus finanziert werden. Österreichische Spezialfälle wie die Bankenabgabe oder die Steuer auf Wertpapiergewinne würden hingegen nicht dazugerechnet. Die Wirtschaftsexperten nennen sieben Gründe, warum die von der SPÖ geforderte „Millionärssteuer“ Wachstum und letztlich Jobs kosten würde.

Falsche Anreize

Erstens: Eine Vermögenssteuer verringert den Anreiz zum Sparen. Wird das Geld stattdessen ausgegeben, kurbelt das die Wirtschaft aber nur kurzfristig an. Auf Dauer würden Investitionen fehlen, die das Wachstum absichern.

Zweitens: Eine Steuer, die sogar in Verlustzeiten anfällt, könnte Firmen gerade in der Krise den Todesstoß geben.

Drittens: Der Bürokratie-Aufwand wäre enorm, das Aufkommen relativ gering.

Viertens: Es wäre eine Doppelbesteuerung – der Staat hat für alle Einkommensarten bereits abkassiert.

Fünftens: Unternehmen und Vermieter würden die Kosten weiter verrechnen – somit kämen auch ärmere Haushalte zum Handkuss.

Sechstens: Wenn der Vermögenswert (etwa von Immobilien) einmal sinkt, erhält man kein Geld zurück. „Gewinne würden sozialisiert, Verluste privatisiert“, sagt Finanzexperte Peter Brandner.

Siebtens: Mobiles Vermögen würde ins Ausland abwandern. Fazit der Ökonomen: Nur keine neue Steuer. Für die überfällige Senkung der Lohnnebenkosten soll der Staat sparen.

Österreichs Steuer- und Abgabensystem hat sich zu einem Moloch ausgewachsen, in dem sich nicht einmal mehr Experten zurechtfinden. Nicht nur die Buchhalter, Lohnverrechner und Wirtschaftstreuhänder, auch die Beamten bei Finanz und Sozialversicherung verzweifeln über das Dickicht an Vorschriften. Die Gewerbeordnungen und die Bauvorschriften sind übrigens auch nicht viel transparenter.

Seit den 70er-Jahren wird über eine Vereinfachung des Systems diskutiert. Mit dem Ergebnis, dass sich die Verwaltung immer noch mehr aufblähte und die Kosten für die Unternehmen immer noch höher wurden. Keine Regierungspartei hatte den Mut, die Bürokratie, die sich schon längst verselbstständigt hatte, radikal zu reformieren und abzuschlanken.

Im Steuer-Wettbewerb der Standorte ist allerdings nicht nur die Höhe der Steuern ausschlaggebend, sondern auch deren Administrierbarkeit, sprich die Qualität eines Systems. Österreich verliert langsam, aber stetig in allen relevanten Standort-Rankings. Im Wahlkampf hatten die Schönredner Oberwasser. Wann, wenn nicht jetzt, setzen sich endlich die Realisten durch?