Wirtschaft

Muhm: "Industrie will das System untergraben"

KURIER: Die Kritik an den Sozialpartnern als Blockade-Partnerschaft wird immer lauter. Selbst der altgediente Sozialpartner Stummvoll hält die Sozialpartnerschaft für überholt.

Werner Muhm: Diese Wortspende halte ich für entbehrlich. Ich erinnere daran, dass es unter Wirtschaftskammer-Generalsekretär Stummvoll gemeinsam mit Präsidenten Maderthaner eine Phase sozialpartnerschaftlichen Stillstands gab. Erst als Leitl und Vize-Generalsekretär Mitterlehner kamen, gab es wieder Bewegung. Zum Beispiel das Projekt Abfertigung Neu.

Aber Sie werden die Kritik doch nicht ignorieren?

Die Sozialpartnerschaft kämpft derzeit mit mehreren Phänomenen. Erstens der Neupositionierung der Industrie. Unter Krejci und Ceska wurde der interessenspolitische Dialog mitgetragen. Mit Präsident Mitterbauer begannen Teile der Funktionäre diese gesamtwirtschaftliche Orientierung in Frage zu stellen und gemeinsam mit der schwarz-blauen Regierung zu bekämpfen.

Der jetzige Präsident Kapsch ist ein Liberaler.

Ja, aber Kapsch tritt offen gegen die Pflichtmitgliedschaft auf. Völlig klar, dass es ohne Pflichtmitgliedschaft keine Kammern geben kann. Die Industrie arbeitet daran, dieses System zu untergraben. Dass die Industrie die Lohnverhandlungen auf betriebliche Ebene bringen will, ist für mich der Hinweis, dass man weg von der Lohnpolitik will, die Jahrzehnte lang Vorteile brachte.

Welche Vorteile meinen Sie?

Einerseits Lohnerhöhungen und andererseits die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Bei uns hat der exportorientierte Sektor, die Metaller, die Lohnführerschaft. In Griechenland oder Spanien hat der öffentliche Dienst die Lohnführerschaft. Das Ergebnis kennen wir.

Die Industrie argumentiert, es gebe in Zeiten wie diesen nichts zu verteilen.

So lautet die Kampfansage. Wahr ist vielmehr: Es gibt weniger zu verteilen, aber es gibt etwas zu verteilen. Die großen Unternehmen schütteten heuer 1,4 Milliarden Euro an Dividenden aus und die Produktivität der Industrie stieg um 2,2 Prozent. Daher gibt es einen Spielraum für Reallohnzuwächse.

Wo sehen Sie denn die Stärken der Sozialpartnerschaft?

In den Mühen der Ebene. Erinnern Sie sich an die zwei Ölpreis-Krisen, es gab weniger zu verteilen, aber es wurde fair verteilt. Oder wie Österreich die Krise 2008/09 durch Kurzarbeit meisterte. Aber nach der Landtagswahl in Oberösterreich war die Industrie die erste Gruppe, die eine schwarz-blaue Regierung forderte. Offenbar erwartet man von der FPÖ mehr Reformbeweglichkeit als von der SPÖ und der Gewerkschaft.

Vielleicht sind konservative Regierungen ja tatsächlich reformfreudiger?

In vielen konservativen Ländern Europas erfüllen die Regierungen die Wünsche der Großindustrie, die eine Schwächung der Arbeitnehmer-Seite will. In Österreich sind die Arbeitnehmer durch die starke Stellung von ÖGB und AK bei den Auseinandersetzungen mit der Wirtschaft auf Augenhöhe. Die Sozialpartnerschaft büßt auch für die Strategie des Wirtschaftsbundes bei der Steuerreform. Dieser hat die großindustriellen Familien vor einer Vermögens- und Erbschaftssteuer geschützt. Dafür tragen die Klein- und Mittelbetriebe die Gegenfinanzierung. Nur fünf Prozent der KMUs haben mehr als eine Million Euro Nettovermögen. Alle anderen wären nie unter die Vermögenssteuer gefallen.

Nicht nur die Industrie klagt über die permanente Verschlechterung des Standortes.

Sicher ist einiges zu verbessern, aber der Standort ist nach wie vor hervorragend. Niemand spricht über Positives wie etwa die Erhöhung der Forschungsprämie.

Und die hohe Arbeitslosigkeit? Deutschland steht wesentlich besser da.

Das Risiko der Armutsgefährdung ist in Österreich wesentlich geringer als in Deutschland. Auch die Langzeit-Arbeitslosigkeit ist niedriger. Wir müssen schon sehen, dass in Deutschland Arbeitskräftevolumen und Bevölkerungszahl absolut zurückgehen. Österreich hat eine wachsende Bevölkerung und ein steigendes Arbeitskräfte-Angebot. Die Arbeitslosigkeit ist importiert.

Woher?

Aus Mittel- und Osteuropa. Aus Deutschland etwa kommen pro Jahre netto 8000 Arbeitskräfte. Weil der Niedriglohn-Sektor in Österreich nur 15 Prozent der Erwerbstätigen umfasst, in Deutschland aber 23 Prozent. Unsere Hoffnung ist, durch einen gesetzlichen Mindestlohn Druck aus Deutschland auf unseren Arbeitsmarkt zu nehmen.

Der Bonus-Malus für ältere Arbeitnehmer steht im Regierungsprogramm, doch die Sozialpartner blockieren.

Unser Problem ist, dass Themen, die im Koalitionsabkommen mit einstimmiger Zustimmung des Wirtschaftsbundes vereinbart wurden, jetzt nicht möglich sind. Mir fällt auf Gewerkschafts- und SPÖ-Seite nichts ein, über das man nicht verhandlungsbereit wäre. Es muss daran gearbeitet werden, dass diese Blockade fällt.

Auch Finanzminister Schelling verliert die Geduld.

Ich schätze Minister Schelling und verstehe seine Verärgerung. Er war noch als Vize-Präsident der Wirtschaftskammer einer der Hauptverhandler für den Bonus-Malus.

Was ist mit den großen Reformen, Stichwort Pensionen?

Erklären Sie das einmal einem Arbeitnehmer, der in der ASVG einen Eigendeckungsgrad von 80 Prozent hat. 20 Prozent schießt der Bund zu. Bei den Bauernpensionen kommen von einem Euro 80 Cent aus dem Budget und bei den Gewerbepensionen 50 Prozent. Warum sollen dauernd die Arbeitnehmer vorgeführt werden? Vielleicht ist die Leistung des Bundes zu hoch.

Also ist die Sozialpartnerschaft aus Ihrer Sicht nicht in der Krise?

Der Motor stottert bei einigen Themen. Trotzdem werden jährlich mehr als 500 Kollektivverträge abgeschlossen. Das Kerngeschäft funktioniert.

Werner Muhm, 65, ist der Chef-Ideologe der Arbeiterkammer und einer der einflussreichsten Sozialpartner-Vertreter. Er saß zuletzt bei den Koalitionsverhandlungen auf Regierungsebene in allen wichtigen Arbeitsgruppen. Muhm ist einer der engsten wirtschaftspolitischen Berater von Bundeskanzler Werner Faymann. Er wird zwar mit 1. Juli 2016 als AK-Direktor in Pension gehen, bleibt aber weiterhin in den Zirkeln der Macht. Er ist im Aufsichtsrat des Stromkonzerns Verbund, der Wiener Städtischen Versicherung, der Kommunalkredit und ihrer Abbau-Einheit KA Finanz, im Generalrat der Nationalbank und in der A.W.H. beteiligungsgesellschaft. Über diese hält die Wiener SPÖ Anteile an der Sozialbau und dem Werbe-Riesen Gewista. Der Kunstfreund Muhm ist auch in der Stiftung des Leopold-Museums.