Mit Insekten den Welthunger stillen
Von Simone Hoepke
Vom Insekten-Burger in der Supermarktvitrine bis hin zum Kuchen aus Heimchenmehl vom Szene-Koch: Die eher ungustiösen Krabbler sind nicht nur im Dschungelcamp in aller Munde, sondern auch bei den Ernährungsexperten der Vereinten Nationen. Bis zum Jahr 2050 soll die Zahl der Menschen von derzeit knapp acht auf neun Milliarden Menschen steigen. Gleichzeitig gibt es immer weniger Ackerflächen. Die Lebensmittelerzeugung muss effizienter werden.
Insekten kommen als Fleischersatz ins Spiel. Sie enthalten Proteine und Fett und können vergleichsweise ressourcenschonend gezüchtet werden. "Es gibt rund 2000 essbare Arten", sagt Henry Jäger, Professor an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er beschäftigt sich mit Larven von Mehlwürmern und Soldatenfliegen sowie mit Heuschrecken und Grillen. "Es geht um die Extraktion von Fetten und Eiweiß, die für die menschliche Ernährung interessant sind. Chitin ist mehr ein Thema für die Verpackungsindustrie", sagt er. In unseren Breiten werden Insekten seiner Einschätzung nach in verarbeiteter Form ein Thema. Sprich: Pulverisiert, sodass der Konsument nicht mehr erkennt, was er isst.
Kein Wildfang
Die gesetzliche Grundlage dafür muss in Europa aber erst geschaffen werden. Derzeit dürfen nur ganze Insekten vertrieben werden – meist in getrockneter Form. Sie müssen aus Zuchtbetrieben kommen, Käfer oder Larven aus Wildfang sind tabu. Genauso wie verarbeitete Insekten. Jäger: "Spannend wird das Jahr 2018 und die Rahmenbedingungen der Novel Food Verordnung." Unter Novel Food versteht man Lebensmittel, die vor dem Stichtag 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in der EU für den menschlichen Verzehr verwendet worden sind, also auch Insekten. Sie brauchen erst eine Zulassung. "Bis 2018 müssen alle nachweisen, dass es keine Probleme mit den Produkten gibt", erklärt Jäger. Also auch jene, die bisher schon ganze Heuschrecken gezüchtet und verkauft haben. Ob Insekten als Futtermittel für Tiere oder zum menschlichen Verzehr den ökologischen Fußabdruck verkleinern können? Eine Frage ist laut Jäger, ob in der Zucht hochwertiges Substrat wie Soja-Protein eingesetzt wird oder Abfall, etwa Trester von der Saftherstellung. Jäger: "Letzteres wäre sinnvoll, aber da stellt sich dann die Frage der Lebensmittelsicherheit."
Offen ist auch, ob Europa sich klimatisch zur Zucht eignet oder ob diese eher in tropischen Ländern stattfinden sollte. Muss die Zuchtstätte erst aufgeheizt werden, ist es mit dem vorbildlichen ökologischen Fußabdruck schon wieder vorbei. Auch Details der industriellen Verarbeitung sind noch zu klären. Etwa, wo die Tiere getötet werden und wie. In Schlachthöfen sind Insekten aus hygienischen Gründen verboten. Tötung durch Gefrieren gilt als die natürlichste Variante, da viele auch in der Natur erfrieren.
Test
Wer mal ein Insektenmenü probieren will, ist bei Christoph Thomann und seinem Unternehmen insektenessen.at richtig. Zwei Mal im Monat veranstaltet er in Wien-Ottakring Kochkurse, in denen Larven, Grillen und Würmer aufgetischt werden. „Zum Schluss schmeckt’s jedem“, behauptet Thomann, der auch schon für Firmen wie Bipa oder Porsche aufgekocht hat. Da es nach diversen Events auch immer wieder Anfragen gab, wo es die Krabbeltiere denn zu kaufen gibt, hat er mittlerweile einen Webshop für Heimchen, Heuschrecke und Mehlwurm gestartet. Freilich auch, um im Gespräch zu bleiben. Die Bestellungen halten sich noch in Grenzen.
Die meisten seiner Kunden sind höher gebildet und verfügen über ein ordentliches Haushaltsbudget. Ein Kilo getrocknete Heuschrecken kostet immerhin rund 300 Euro. Thomann: „Wir sind in einem kleinen Nischenmarkt, es gibt nicht viele Produzenten in Europa.“ Auch, weil die Auflagen in Sachen Hygiene, Aufzucht und Schlachtung hoch sind. Wobei „Schlachtung“ eigentlich das falsche Wort ist, da Insekten kein Blut haben. Getötet werden sie durch erfrieren – zumindest in der Lebensmittelproduktion. Bei Tieren für die Futtermittelproduktion seien die Regeln laxer, teils werden sie lebendig vertrieben, sagt Thomann. „Da können sich dann leicht Krankheiten entwickeln – das heißt, die Lebensmittel sind nicht so sicher.“