Das global boomende Geschäft mit Patienten
Von Simone Hoepke
Im einem Spital in Bangkok kann man seinen Speck ab 1429 Dollar loswerden, steht auf der Berliner Patientenvermittlungsplattform Junomedical. Im mexikanischen Cancún kostet eine Fettabsaugung demnach zumindest 5300 Euro. Das angepriesene Spital hat eine eigene Abteilung für ausländische Patienten – vornehmlich Kanadier und Amerikaner – und ist auch beim Pick-up-Service vom Flughafen, bei der Hotelbuchung oder der Organisation von Ausflügen für die Begleitung behilflich. Sich auf Reisen ein bisschen verschönern lassen, rechnet sich offenbar. In Indien gibt es laut Junomedical Haarimplantate ab 1200 Euro – in Großbritannien zahlt man demnach umrechnet um die 11.000 Euro.
Es gibt freilich auch ganz andere Gründe, warum jemand zum Medizintouristen wird: So reisen etwa russische Oligarchen oder arabische Scheichs zu den besten Ärzten der Welt. Oder die russische Mittelschicht in westliche Krankenhäuser, weil viele Behandlungen in ihrer Heimatstadt gar nicht möglich sind.
Geldfrage
Dazu kommen jene Patienten, die in ihrem Heimatland lange auf eine OP warten müssten. "In den Niederlanden, wo das Gesundheitssystem kaputtgespart wurde, wartet man oft ein Jahr und länger auf eine Knie-OP, die man hierzulande in ein paar Wochen erledigen kann", erklärt Jens Juszczak, Medizintourismus-Experte von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Das Gleiche gelte für Großbritannien. Zudem machen sich beispielsweise Patienten aus der Schweiz oder den USA auf Reisen, weil eine medizinischer Eingriff in ihrem Heimatland teurer ist als im Ausland.
So kommt der Medizintourismus rund um den Erdball in Fahrt. Mehr als 400 Milliarden US-Dollar ist der Industriezweig schwer, so eine Studie des Kreditkartenanbieters Visa gemeinsam mit Oxford Economics. Die Experten gehen in den kommenden Jahren von Wachstumsraten um die 25 Prozent aus – und zwar Jahr für Jahr. Treffen ihre Prognosen ein, werden im Jahr 2025 bis zu vier Prozent der Weltbevölkerung auf Gesundheitsreisen gehen. Zu den Top-3-Destinationen der Medizintouristen gehören derzeit die USA, Thailand und Singapur, der Trend macht aber nicht einmal vor der Wüste halt.
Dubai will in der Spitzenliga mitspielen. Die Dubai Healthcare City soll das größte Gesundheitsareal der Welt werden – Ableger namhafter ausländischer Institutionen inklusive. "Man kann mit viel Geld Krankenhäuser mit Top-Ausstattung bauen, der Betrieb ist aber eine andere Sache", sagt Juszczak. Araber zieht es nach wie vor zu Operationen gen Westen. Nicht nur, weil das Klima angenehmer ist. Auch, weil die besten Ärzte der Welt in der Regel nicht im arabischen Raum arbeiten. Juszczak: "Dem stehen menschliche Dinge im Weg – vom Alkoholverbot in manchen Ländern bis zu Verhaltensvorschriften in der Öffentlichkeit."
In Deutschland war Russland der mit Abstand größte Quellmarkt für Medizintouristen – bis zum Rubelverfall. Gegenüber dem Jahr 2014 kommen heuer um bis zu 50 Prozent weniger russische Patienten, schätzt Juszczak: "Dem Mittelstand fehlt das Geld, Personen im Staatsdienst bekommen kein Visum mehr."
Österreich spielt im Medizintourismus nur eine untergeordnete Rolle. "Obwohl wir gute Ärzte und eine gesunde Umwelt – also gute Voraussetzungen – hätten", bedauert Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer Österreich. "Wir stolpern über die Besonderheiten unseres Gesundheitssystems." Damit meint Gleitsmann das Spitalssystem, bei dem Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger mitreden können. Der Medizintourismus spielt sich daher nur im Bereich der rund 35 österreichischen Privatspitäler ab, etwa im Rudolfinerhaus.
Araber in Wien
"Wir haben 15 bis 20 Prozent ausländische Patienten", sagt Hubert Pehamberger, Ärztlicher Leiter des Rudolfinerhauses. Vor allem Araber, Russen, Rumänen, Bulgaren und Aserbaidschaner lassen sich in der Wiener Privatklinik behandeln, schwerpunktmäßig in der Orthopädie, Urologie und Chirurgie. Es gibt aber auch einige Frauen, die zur Entbindung nach Wien kommen. Pehamberger will das Geschäft mit Medizintouristen weiter ausbauen: "Ein Anteil von einem Drittel in zwei, drei Jahren ist unser Ziel." Seiner Meinung nach gibt es aber noch viel zu wenige Unterstützung seitens der offiziellen Stellen wie Außenministerium und Wirtschaftskammer.
Und wie viele Österreicher lassen sich im Ausland behandeln? Auch das kann keiner so genau sagen. "Die Statistik weist 487.000 Krankenversicherungsfälle aus, davon 227.000 in Deutschland", sagt Gleitsmann. Wie viele Österreicher Behandlungen – etwas bei ungarischen Zahnärzten – privat bezahlen, wird von keiner Stelle erfasst.
Im Medizintourismus ist Österreich mehr oder weniger Niemandsland, meint David Gabriel, selbst früher Anästhesist. Im MTI-Index, der 41 Länder nach ihrer Bedeutung im Medizintourismus reiht, kommt Österreich nicht einmal vor, ärgert sich Gabriel. Er will das ändern, unter anderem mit seiner Plattform "Austrian Health".
Diese bietet ausländischen Patienten in Österreich Unterstützung: Von der Suche nach geeigneten Ärzten, der Einholung von Kostenvoranschlägen, der Visa-Abwicklung, dem Dolmetschen während des ganzen Prozesses bis zum Pick-up-Service zum Flughafen. Der Erstkontakt erfolgt meist über Agenturen in den jeweiligen Ländern – schließlich verstehen viele Patienten aus dem arabischen Raum oder Russland weder deutsche noch englische Homepages.
Zudem kümmert sich Austrian Health ums Marketing. Bei Tourismusmessen gehen heimische Kliniken im Konkurrenzkampf stets unter, weiß Gabriel. Er glaubt, dass die Zahl der Patienten "locker verdoppelt" werden könnte.
Die Ausgangslage ist nicht ganz klar. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Gabriel geht davon aus, dass heimische Kliniken 120 Millionen Euro im Jahr mit Medizintouristen verdienen könnten, schließlich nehmen jene in Deutschland kolportierte 1,2 Milliarden Euro ein. Gabriel: "Rechnet man die Begleitpersonen und deren Auswirkungen auf den Tourismus mit, ist ein Markt von 180 Millionen Euro realistisch." Seiner Schätzung nach werden derzeit keine 40 Prozent dieses Marktes ausgeschöpft.
"In Österreich werden geschätzte 7000 bis 10.000 ausländische Patienten im Jahr behandelt", rechnet Gabriel vor. "Zum Vergleich: "Allein in Berlin oder München sind es etwa 20.000."
Im Ranking jener Nationen, die sich relativ oft in österreichische Krankenhäusern behandeln lassen, stehen Russen, Araber und Rumänen ganz oben.
Laut den Berechnungen der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg profitieren nicht nur Kliniken vom Medizintourismus. Da viele Patienten mit Begleitung anreisen, werden auch Handel und Gastgewerbe belebt. Die Wissenschaftler haben hochgerechnet, dass Berliner Beherbergungsbetriebe jährlich bis zu elf Millionen Euro mit Medizintouristen umsetzen. Zusatzgeschäfte von Autovermietungen oder Reiseveranstalter noch nicht miteingerechnet.
Auch der Einzelhandel wird angekurbelt – schon allein, weil viele Touristen in Westeuropa deutlich billiger shoppen können als in ihren Heimatländern. Medizintouristen und vor allem ihre Angehörigen sollen dem Berliner Einzelhandel laut der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg jährlich zwischen zehn und 15 Millionen Euro in die Kassen spülen. Im Vergleich zu den medizinischen Einrichtungen – sie nehmen kolportierte 80 bis 102 Millionen Euro im Jahr mit dieser Klientel ein – sind die Verdienstaussichten aber überschaubar.
Dennoch: Nicht jedes Krankenhaus macht mit Medizintouristen das große Geld. Im Gegenteil. Das Stuttgarter Klinikum hat bei der Behandlung von libyschen Kriegsversehrten Millionenverluste eingefahren, weil sie Kosten produzierte, ohne dafür Geld von der Botschaft zu erhalten, berichtete die Stuttgarter Zeitung.