Wirtschaft

Klinische Forschung in Österreich rückläufig

Der Schweizer Pharmariese Roche erforscht und entwickelt Krebsmedikamente. Der KURIER sprach mit Österreich-Chef Wolfram Schmidt über gestresste Ärzte, fehlende Kompetenzzentren und Widerstände bei der Sammlung von Patientendaten.

KURIER: Österreich zählt zu den führenden EU-Ländern bei innovativen Krebsmedikamenten. Roche ist hier sehr aktiv. Warum ist klinische Forschung so wichtig?

Wolfram Schmidt: Wir investieren in Österreich fünf von acht Millionen Euro rein in die klinische Forschung. Aktuell haben wir 60 Studien mit über 2000 Patienten am Laufen. Für Österreich ermöglicht das den frühen Zugang zu Weiterentwicklungen in der Krebstherapie. Patienten können im Rahmen von Studien früher behandelt werden. Mit Methoden, die noch nicht in der Breite verfügbar sind. Vor zehn Jahren war ein fortgeschrittener Brustkrebs noch ein Todesurteil. Heute sind die Chancen groß, lange zu überleben.

Die klinische Forschung war in Österreich zuletzt stark rückläufig. Haben sich die Rahmenbedingungen verschlechtert?

Ja, die Rahmenbedingungen für die Pharmaindustrie werden immer schwieriger. Erstens sind Bürokratie und Logistik ungleich höher als in anderen Ländern. Zweitens ist das steuerliche Umfeld nicht gerade förderlich und jetzt kommt noch die Ärztezeitenthematik dazu ...

Welche Auswirkungen hat für Roche die Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei Ärzten?

Die Ärzte haben dadurch einfach weniger Zeit für klinische Forschung, denn auch die Versorgung der Patienten muss sichergestellt werden. Hier sehe ich die Gefahr, dass wir beim Zugang zu Innovationen im internationalen Vergleich zurückfallen und Krebsmedikamente nicht mehr so früh in klinischen Studien verfügbar sind wie jetzt.

Welche Rahmenbedingungen wünschen Sie sich?

Es braucht mehr Kompetenzzentren rund um die Krebsforschung. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben und nicht den Anschluss zu verlieren, müssen wir uns einfach besser vernetzen. Dafür braucht es aber die Unterstützung der Politik.

Aber es gibt doch schon Forschungszentren. Reichen diese nicht aus?

Es gibt gute Beispiele, aber wir müssen mehr tun, um die Grundlagenforschung in konkrete Anwendungen zu bringen. Hier gibt es großen Nachholbedarf. Es geht auch darum, mit steuerlichen Anreizen mehr Spitzenforscher nach Österreich zu locken bzw. sie hier zu halten. Wir sind hier im Wettbewerb mit Steuerparadiesen wie Schweiz oder USA.

Ein Schwerpunkt von Roche ist die personalisierte Medizin, also maßgeschneiderte Therapien. Wohin geht hier die Reise?

Wir werden in einigen Jahren davon sprechen, dass Krebs keine tödliche, sondern eine chronische Krankheit ist. So kann man heute durch genaue Diagnose und zielgerichtete Therapien die Wirksamkeit verbessern und Nebenwirkungen reduzieren. Anders gesagt: Patienten erhalten so eine bessere und sicherere Therapie. Zum Beispiel werden bereits Antikörper eingesetzt, die die Chemotherapie direkt in die Krebszelle einschleusen, um typische Nebenwirkungen wie Haarausfall zu vermindern. Starker Haarausfall wird dann immer weniger der Fall sein. Personalisierte Medizin geht nur dann, wenn man Diagnostik und Pharma gemeinsam macht.

Dafür brauchen Sie viele Daten von Patienten, die diese aber oft nicht hergeben wollen ...

Wir haben unglaublich viel ungenütztes Wissen in der Pharmaindustrie – Stichwort Big Data. Aufgrund der Datenschutzproblematik liegt sehr viel ungenutztes Wissen brach. Dabei wären die Daten ja da. Jeder Patient könnte einem anderen weiterhelfen, indem er seine Daten zur Verfügung stellt. Das kann alles anonym durchgeführt werden, hier müssen wir mehr Aufklärungsarbeit leisten. Es ist einfach zu wenig klar, wofür Daten verwendet werden.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Ein Tumorregister, wo das bestimmte Muster des Tumors anonymisiert gespeichert wird. Dieses Muster könnte man weltweit abgleichen, um zu sehen, wie es am häufigsten behandelt wird. Eine maßgeschneiderte Therapie also, die genetische Profile nutzt. Völlig anonym natürlich, ohne auf den Patienten rückschließen zu können. Ich würde mir ein nationales Tumorregister für Österreich wünschen. Das gibt es schon in vielen Ländern, etwa in Skandinavien.

Beim elektronischen Gesundheitsakt (ELGA) gibt es auch große Datenschutzbedenken.

Das tut mir sehr leid, weil wir mit ELGA nicht nur Mehrfachdiagnosen vermeiden, sondern auch lebensnotwendige Therapien beschleunigen könnten. Aufgrund unserer Datenschutzregelung in Österreich könnte es passieren, dass wir den Zug verpassen. Dann werden unsere Patienten nicht die modernsten Technologien erhalten.

Sie haben kürzlich die noch sehr junge Wiener Biotechfirma Dutalys übernommen. Der Deal ist Ihnen fast eine halbe Milliarde Euro wert. Warum?

Weil die Firma eine Technologie entwickelt hat, mit der sie im Bereich bispezifische Antikörper in der Krebsbehandlung absolut am Zahn der Zeit ist. Es geht um Eiweißmoleküle, die zwei Fangarme haben und somit an zwei Stellen gleichzeitig eine Tumorzelle angreifen können. Damit haben sie eine stärkere oder spezifischere Wirkung.

Roche-Gruppe Der Schweizer Pharmakonzern mit Sitz in Basel ist führend in der Erforschung, Entwicklung und Vermarktung von Krebsmedikamenten. 2014 wurde mit den beiden Divisionen Diagnostics und Pharma ein Umsatz von 45 Mrd. Euro und ein Reingewinn von 9,4 Mrd. Euro erzielt. Die Roche-Gruppe beschäftigt weltweit 88.500 Mitarbeiter, 18.000 Forscher.

Roche Austria Roche ist seit 1907 in Österreich vertreten und beschäftigt aktuell 400 Mitarbeiter (davon 60 in F&E). 2010 wurde der Standort Graz in die Schweiz verlegt. Umsatz: 320 Mio. Euro, davon 200 Mio. mit Pharma. 70 bis 80 Prozent des Umsatzes entfällt auf Krebstherapie (v. a. Brustkrebs), der Rest auf Rheumatherapie.

Wolfram Schmidt (47) ist seit 2014 Geschäftsführer von Roche Austria. Der studierte Chemiker leitete zuletzt Roche Finnland, seine Familie lebt in München, Hobbys: Natur, jagen und angeln.