Zwischen Genie und AMS
Die Worte wirken tief: "Studier was G’scheites", oder "Medizin, Jus oder Wirtschaft – das kann sich sehen lassen". Das ist, was Eltern gerne ihren Kindern einflüstern, damit sie sich später für eine solide und (vielleicht) nachgefragte Ausbildung entscheiden. Mit diesen Abschlüssen gibt es für Absolventen heute zeitnah Jobs – oft mit gutem Geld dotiert.
Ein Albtraumszenario für viele Eltern hingegen ist, wenn das Kind verkündet, Künstler werden zu wollen. Davon könne man nicht Leben, ein Hobby sei die Kunst höchstens, so der Tenor. Herausragende Persönlichkeiten wie Erwin Wurm oder Gottfried Helnwein sind rar, sie können Kunst und Karriere verbinden. Diese Karrieren blenden. Obwohl sich immer mehr Menschen für eine Ausbildung im musischen Bereich entscheiden, schaffen es nur wenige, von ihrem Talent auch tatsächlich zu leben.
Viel Angebot
Laut Statistik Austria studierten im vergangenen Studienjahr 9507 Menschen an einer öffentlichen Uni mit künstlerischer oder musikalischer Ausrichtung, Tendenz steigend. Die Bildungslandschaft gibt im künstlerischen Sektor viel her: Ein Drittel der öffentlichen Unis in Österreich haben ein kreatives Curriculum. Das lockt auch Talente aus dem Ausland: Knapp 46 Prozent der Studierenden sind keine Inländer. Ein Diplom oder ein Zertifikat einer heimischen Kunst- oder Musik-Uni ist international hoch angesehen. Die Universität für Angewandte Kunst gab diese Woche sogar bekannt, dass sie sich flächenmäßig – mit einer Neuanmietung von 15.380 Quadratmetern – ab 2016 mehr als verdoppeln wird und sieben neue Professuren an namhafte Künstler und Theoretiker vergeben hat.
Während die Bewerberzahlen steigen und die Uni-Flächen ausgebaut werden, erwartet die Absolventen von Musik- und Kunstunis nach ihrem kreativen Höhenflug oftmals eine harte Landung am Arbeitsmarkt.
Kaum Nachfrage
Das Bild, das sich für künstlerische Akademiker nach ihrem Abschluss zeichnet, ist düster. Eine Festanstellung ist ein Wunschtraum (mehr dazu im Kasten rechts), Kellnern als Zweitjob normal. Vor zehn Jahren kam eine Umfrage der Kunst-Uni Linz zur Erkenntnis, für ihre Absolventen gebe es kein klares Berufsbild. Nur jeder Vierte konnte damals nach seinem Abschluss auch tatsächlich als Künstler arbeiten. Und heute?
"Ist es noch viel schlimmer", sagt Michael Czerny, Teamleiter von "Team 4", dem Künstlerinnenservice des AMS. Und bezieht sich dabei nicht nur auf die Linzer Kunst-Uni. Czerny beschreibt den Weg eines künstlerischen Akademikers überspitzt als "die drei As: Ausbildung, Abschluss, AMS". Zahlen dazu, wie sich Kunst-Absolventen am Arbeitsmarkt etablieren, gebe es allerdings kaum, so Czerny.
Fakt sei aber: Es gebe weniger Arbeitsplätze als Absolventen. Viele derjenigen, die zum Studieren aus dem Ausland kommen, würden hier bleiben und den Konkurrenzkampf am Arbeitsmarkt noch verschärfen. Das Dramatische: Die Studierenden würden auf diese Situation während ihrer Ausbildung weder aufmerksam gemacht noch vorbereitet werden. "Sie erhalten wenig bis keine Informationen über aktuelle Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Sie wissen nicht: Reicht mein Studium eigentlich aus? Wie sehen branchenspezifische Bewerbungsmöglichkeiten aus? Nach ihrem Abschluss kommt ein Vakuum."
Diesem Vakuum aus Ratlosigkeit und Realität sind nicht alle gewachsen. Die Hoffnungen darauf, von der Kunst zu leben, zerschellen, der eigene Selbstwert sinkt. Manche geben ihren Traum auf. Czerny, selbst ehemaliger Opernsänger, verrät, dass die meisten ausgebildeten Künstler in seinem Umfeld bereits umschulen mussten – wie er auch. Die Hebel für eine bessere Situation für Kunst-Absolventen am Arbeitsmarkt sieht er in der Veränderung der Bildungs- und Kulturpolitik. Denn er und seine Mitarbeiter könnten nur die Vermittelbarkeit der Künstler fördern, aber nicht den Markt ändern.
Knapp 60 Prozent der Einkommen von freien Kulturschaffenden liegen unter 5000 Euro im Jahr, so das Ergebnis einer Analyse der „österreichischen kulturdokumentation“ für das Kulturministerium. Das restliche Drittel der Befragten gibt an, im Jahr nicht mehr als 25.000 Euro zu erwirtschaften.
Für die aktuelle Studie „Fair Pay – Zur finanziellen Situation freier Kulturinitiativen und -vereine“ vom Dezember vergangenen Jahres wurden Mitarbeiter von 205 Initiativen und künstlerischen Einrichtungen in Österreich befragt. Sie kommen aus den Bereichen Musik, Tanz, Theater und bildende Kunst, ebenso aus dem Veranstaltungsbereich. Mehr als 80 Prozent dieser Vereine liegen mit ihrem Jahresumsatz unter einer Million Euro.
Unbezahltes Talent
Die Menschen, die hier arbeiten, können sich mit ihrem Talent allein kaum bis gar nicht über Wasser halten. Abseits der großen Bundes und Landeseinrichtungen sind lediglich vier Prozent aller freien Kulturschaffenden in Vollzeit Verhältnissen tätig, rund drei Viertel arbeiten entweder ehrenamtlich oder auf Honorarbasis. Durchschnittlich verdienen selbst angestellte Kulturarbeiter ein Drittel weniger als Beschäftigte in anderen Arbeitsfeldern.
Das Büro von Kulturminister Josef Ostermayer ließ vor drei Wochen zu diesem Thema wissen, dass man die Situation der freien Kulturinitiativen „sehr ernst“ nehme, es mit diesen auch laufend Gespräche zur Verbesserung ihrer Situation gebe. Aufgrund des knappen Budgets bis 2015 könne es jedoch unmittelbar kein zusätzliches Geld, in Form von Förderungen etwa, geben. Erst ab 2016 – vorausgesetzt, die Wirtschaft entwickle sich rosig – könne über weitere Mittel gesprochen werden.