Zukunft? Fragen Sie die Putzfrau
Ob sie mit einer Glaskugel arbeitet, ist Elina Hiltunen schon öfter gefragt worden. Die Finnin sieht die Frage nicht als böse. Als Zukunftsforscherin ist sie es gewohnt, auf Zweifler zu treffen: "Die Leute fragen mich: Was wird Morgen sein? Und ich sage: Ich weiß es nicht. Dann sind sie enttäuscht."
Was tut eine Futuristin also? Laut Definition handelt es sich dabei um eine systematische und kritische wissenschaftliche Untersuchung von Fragen möglicher zukünftiger Entwicklungen. "Meine Aufgabe ist es, über die verschiedenen Möglichkeiten der Zukunft nachzudenken", erklärt Hiltunen: "Wir Futuristen reden daher auch nicht von einer Zukunft, sondern von Zukunften. Planen verschiedene Modelle, auf die sich Firmen vorbereiten können." Vor allem im strategischen Consulting ist ihr Wissen, dass sich die Futuristin durch Marktforschung, Datenanalysen, Interpretation und Beobachtung aneignet, gefragt.
Megatrends der Zukunft
Hiltunens Spezialität sind "Schwache Signale" – also erste Anzeichnen für die Megatrends der Zukunft. Die derzeit wären? "Verknappung der Ressourcen und die wachsende und immer älter werdende Bevölkerung", antwortet die seit 1998 weltweit tätige Finnin. Allgemein bekannte Dinge, lautet der Einwurf. Warum eine Futuristin bezahlen, um das zu erfahren? "Viele Firmen brauchen mich, damit ich sie aufwecke. Sie erkennen die Trends, reagieren aber nicht darauf. Sie sehen nicht die Potenziale, die in solchen auf den ersten Blick problematischen Entwicklungen liegen können", sagt Hiltunen.
Beispiele dafür, dass Unternehmen die Zeichen der Zukunft nicht lesen, gibt es viele. Als Finnin nennt Hiltunen den Handyhersteller Nokia (bei dem sie übrigens nach einem 8-Monats-Intermezzo kündigte). Der übersah die Smartphone- und App-Welle. Nun zerbröselt der einstige Weltmarktführer. "Man muss sehr aufmerksam schwache Signale orten. Das kann für das Überleben eines Unternehmens entscheidend sein", kommentiert die Beraterin.
Auch in Sachen Arbeitswelt sieht die Futuristin Trends. Und Versäumnisse. Hiltunen: "Noch lange nicht alle begreifen, dass das Internet unsere Art zu arbeiten verändert. Heute muss man dazu nicht mehr von acht bis vier im Büro sitzen." Unflexible Arbeitgeber vergraulen Talente. "Viele Firmen haben nicht realisiert, dass sie mit ihren starren Anwesenheitspflichten die jungen und innovativen Mitarbeiter nicht bekommen. Das ist ein Riesenproblem." Der Arbeitgeber muss in Zukunft mehr Vertrauen haben und mehr Freiheit geben. Der Mitarbeiter wird es mit mehr Leidenschaft am Job danken.
Hiltunen selbst hat einen Doktor in Wirtschaft und zum Thema Zukunftsforschung Bücher verfasst. Doch eigentlich, meint sie, ist es gar nicht so schwer, einen Blick ins Morgen zu tun. "Wenn CEOs mehr und ernsthafter mit ihren Sekretärinnen reden würden oder mit dem Infodesk-Personal, dann würden sie viel erfahren. Nicht selten rate ich, mit der Putzfrau zu sprechen. Die weiß oft am besten, was abgeht."
Ein Beruf alleine reicht nicht mehr aus
Für das Arbeitsleben von morgen sieht Zukunftsfoscherin Elina Hiltunen vor allem einen Trend: „Man wird mehr als eine Karriere haben, mehrere Berufe nebeneinander ausüben.“ Sie selbst geht diesen Weg bereits: Hiltunen arbeitet als strategische Consulterin und entwirft Amigurumi, gehäkelte japanische Wolltiere. In beiden Bereichen ist sie – auf hohem Niveau – erfolgreich. „Trotzdem kommt es zu Unverständnis. Als ein Artikel über mein Amigurumi erschien, sagte mein Chef: Bitte behalte diese Häkelei für dich. Sonst nimmt uns niemand mehr ernst“, erzählt sie. Umgesetzt hat sie den Rat nicht: „Das ist Unsinn und zeigt eine veraltete Denkweise. Man muss die Leute ihre beruflichen Leidenschaften ausleben lassen. Alle profitieren.“
Der österreichische Futurologe Erich Jantsch (1929 bis 1980) lebte diesen Trend ebenfalls vor. Nachdem ihn die Astrophysik nicht mehr voll erfüllte, betätigte er sich als Musikkritiker, Stadtplaner, Buchautor und Dozent und gründete den Club of Rome.