Wir haben Angst vor der Langeweile
Von Sandra Baierl
Schweden führt gerade den 6-Stunden-Arbeitstag ein. Eine gute Idee?
Franz Josef Köb: Prinzipiell schon. Die Beanspruchung durch die Arbeit ist generell sehr groß geworden. Gibt es mehr Freizeit, besteht zumindest die Chance, dass man den hohen Druck aus der Arbeit ausgleichen kann.
Wie viele Stunden pro Tag kann man eigentlich richtig produktiv sein?
Da gibt es keine Generalisierung. Es ist wichtig, dass man Unterbrechungen hat. Wir sind umso kreativer und produktiver, je mehr Pausen wir machen. Wenn der Zeitdruck groß ist, greifen wir zur Routine, dann machen wir es, wie wir es immer machen. Innovation und Kreativität sind dann unmöglich. Die Ideen entstehen in Zeiten der Muße. Wenn man nix tut, dann kommt der Geistesblitz. Eine Grundregel im Umgang mit der Zeit: Wir können nicht dauerhaft im Stress sein. Es muss ein Entspannungstal auf einen Stressgipfel folgen, sonst ist das schädlich.
Werden Arbeitsstunden am Tag verringert, könnte das zu noch mehr Stress führen.
Das ist sicher so. Da zeigt sich die Ideologie des Neoliberalismus: immer weniger Menschen machen mehr. Zudem wird die Gesellschaft gespalten: in jene, die zu viel Arbeit haben und in das große Heer der Arbeitslosen.
Historisch gesehen arbeiten wir immer weniger, sind aber trotzdem immer gestresster. Passt das zusammen?
Es ist eindeutig: wir arbeiten weniger, leben länger, haben mehr Freizeit – und trotzdem keine Zeit. Die Erklärung ist, dass der Stress nicht monokausal ist. Er kommt nicht nur aus der Arbeitswelt, sondern entsteht durch ein Bündel von gesellschaftlichen und persönlichen Faktoren, die sich verzahnen und verstärken. Nobelpreisträger Manfred Eigen sagt: "Zeit ist das, was uns fehlt, wenn sich zu viel ereignet". Und um uns ereignet sich unglaublich viel, wir können unendlich viel erleben, etwa durch die Medien oder das Internet. Zudem leben wir in einer Multioptionsgesellschaft. Wir haben in allen Bereichen viele Wahlmöglichkeiten, die uns aber überfordern. Und die uns immer mit dem Gefühl zurücklassen, etwas anderes wäre vielleicht doch besser gewesen.
Manchen Leuten geht es besser, wenn sie im Stress sind.
Man möchte glauben, alle wollen Stress reduzieren. Aber richtig ist: Die Menschen brauchen den Stress. Sie wollen bloß keine Langeweile. Der Schriftsteller Rüdiger Safranski sagt: "Die Zeit ist verborgen unter einem dichten Ereignis-Teppich". Wir knüpfen deshalb so dichte Teppiche an Ereignisse, damit die tiefe Langeweile, wo man das Rauschen der Zeit hört, nicht aufkommt. Auch Blaise Pascal kennt diese Abgründe des Unendlichen: "Nichts ist für den Menschen so unerträglich, wie in vollkommener Ruhe zu sein, ohne Leidenschaften, ohne Beschäftigung, ohne Ablenkung, ohne Aufgabe. Dann spürt er sein Nichts, seine Verlassenheit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unverzüglich wird aus dem Grunde seiner Seele Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, Kummer und Verdruss aufsteigen." Man müsste es mit sich selbst aushalten, aber das können die wenigsten.
Zwischen zu viel tun und nichts tun gibt es aber doch einen Mittelweg.
Meine Erkenntnis ist: Es gibt diesen mittleren Weg – das ist die Langsamkeit. Damit wird der Ereignis-Teppich gewebt, aber eben nicht zu dicht und nicht zu dünn.
Ist betont langsames, bedachtes Arbeiten heute noch irgendwo erlaubt?
In der Arbeitswelt ist der Spielraum für Langsamkeit gering. Deshalb braucht es die Freizeit. Mir kommen diese Zeitmanager immer lächerlich und kindisch vor, die meinen: "Sagen Sie öfters Nein" – das ist doch in der Praxis nicht tauglich, wenn die Kunden warten oder der Chef drängt. Die Gefahr ist, dass man den Druck von der Arbeit mitnimmt. Man muss sich Auszeiten gönnen, den Mut haben, nicht überall dabei zu sein, allein zu sein. Eine intelligente Reduktion. Dann lebt man nicht mehr das Tempo, das andere oder die Uhr vorgeben. Hat wieder Eigenzeit, lebt nach seiner eigenen inneren Uhr.