Wirtschaft/Karriere

Verkauf: "Produkt alleine reicht nicht"

KURIER: "Wirklicher Luxus ist es, gut beraten zu werden" – sind Ihre Worte. Ist das das Erfolgsrezept eines guten Verkäufers?

Nicolas Venturini: Das Wichtigste beim Verkaufen ist, dass der Verkäufer aufhört, dem Kunden etwas mitzugeben, das er loswerden möchte. Er muss den Kunden viel mehr begleiten, ihn bei der Auswahl von dem, was er sich wünscht, unterstützen. Hier zählt die Kompetenz: Der Verkäufer muss ein Gefühl dafür entwickeln, ja aus dem Kunden herauskitzeln, was sich dieser erwartet. Dafür braucht man auch viel Erfahrung.

Was braucht ein Verkäufer noch, um erfolgreich zu werden?

Verbindlichkeit. Er muss zu hundert Prozent das einhalten können, was er anpreist. Es hilft nichts, das Blaue vom Himmel zu versprechen, wenn er es nicht halten kann. Und Leidenschaft für das, was er verkauft. Wenn jemand zu mir kommt , lasse ich ihn erstmal die Stoffe ansehen, er soll fühlen, wie toll das alles ist.

Internet, Teleshopping, Selbstbedienungsläden – der Kunde findet gut alleine zum Produkt. Warum brauchen wir heute noch Verkäufer?

Ja, der Verkauf ist total entpersonalisiert. Wenn Sie in eine Bank gehen, treffen Sie am ehesten einen Automaten. Wenn Sie Mode einkaufen, finden Sie Einschlichter, aber keine Verkaufsberater. Im Baumarkt analysieren Mitarbeiter, wie sich die Ware im Regal am besten selbst verkauft. Der Fokus geht eindeutig weg vom Kunden. Aber genau um den geht es doch. Wir versuchen hier, dem Produkt wieder eine Seele einzuhauchen. Und wenn der Kunde das Produkt selbst mitgestalten kann, wird er ein Teil davon. Und das ist doch etwas Großartiges.

Gehen die Kunden deshalb zu Ihnen und nicht zum Mode-Riesen ums Eck?

Ich bin kein Marketing-Experte und Venturini ist keine Marke. Venturini ist ein Dienstleister und der Kunde braucht Dienstleistung. „Ich kenne den, der das gemacht hat“, ist in meinen Augen ein sehr gutes Verkaufsargument. Jeder, der mich beim Kauf begleitet, ist wichtig. Sei es der Kellner, der mir den Wein zum Essen empfiehlt, der Automechaniker, der mein Auto repariert hat. Hier will niemand ein Callcenter.

Ihr Laden läuft seit mehr als hundert Jahren. Wie haben sich die Anforderungen an der Verkauf verändert?

Zum einen ist es eben die Entpersonalisierung. Durch Studien und Analysen ist das Verkaufen zu einer Wissenschaft geworden. Viele Verkäufer schauen heute, dass sie ihre zehn Semmeln auch so an Kunden bringen – obwohl dieser vielleicht ein Brot möchte. Zum anderen sind die Kunden mündiger geworden. Wenn sie schon ihr Geld ausgeben, möchten sie eine gute Dienstleistung dazu bekommen. Das Produkt alleine reicht heute nicht immer, es ist der Mehrwert, der beim Kunden zählt.

Wo haben Sie das Verkaufen gelernt?

Ich habe alles von meinem Vater gelernt. Wir haben eine wahnsinnig enge Beziehung. Seit 20 Jahren arbeite ich mit ihm zusammen. In der Zeit gab es keine Entscheidung, die ich oder er getroffen hätten, ohne miteinander übereingestimmt zu sein. Vor rund sieben Jahren habe ich die Firma dann juristisch übernommen.

Ihr Verkaufsstil?

Wir verkaufen Freude. Wenn der Kunde am morgen das frische, gebügelte Hemd von uns in seinem Kleiderschrank erspäht, empfindet er ein Glücksgefühl. Mein Vater hat auch immer gesagt „Vorfreude ist die schönste Freude“ – auf ein Maßhemd muss man ja immer warten, da steckt viel Arbeit dahinter. Wenn der Kunde es sich dann abholen kommt, über das fertige Hemd streicht und seine Augen glitzern, ist das der schönste Lohn für mich.

Ist das gute Verkaufen eine Berufung?

Ich habe früher Betriebswirtschaft studiert, war beim Fernsehen und habe auch Musikvideos gemacht. Mein Vater meinte damals, es wäre sehr schade, wenn das Geschäft nicht in der Familie bliebe. Also habe ich es probiert. Und habe herausgefunden, dass es das Tollste ist, was ich machen kann. Es erfüllt mich, ich liebe was ich tue.

Was würden Sie als Verkäufer niemals tun?

Die meisten Verkäufer reden zu viel. Man muss aber doch den Kunden reden lassen – der weiß schon, was er will. Ein guter Verkäufer sollte den Kunden sanft an das heranführen, was möglich ist. Er sollte auch auf keinen Fall etwas schlecht machen, was der Kunde bereits besitzt oder sich mit ihm messen. Das ist nicht wertschätzend. Und genau darum geht es: Der Kunde muss respektiert werden. Denn es ist doch auch die schönste Wertschätzung, wenn dieser zu einem ins Geschäft kommt und einen um Rat fragt.

Zur Person: Nicolas Venturini

Der 41-jährige Geschäftsführer des "Hemdenmacher Gino Venturini" versteckt sich nicht hinter dicken Bürotüren und Bürokratie. Er ist beim Kunden. Jeden Tag. In seiner Werkstatt in der Nähe von Korneuburg betreut er Vormittags die Produktion, bestellt Stoffe, zeichnet Hemd-Vorlagen und sichtet Kollektionen. Nachmittags kümmert er sich um den Verkauf in seinem Geschäft in der Spiegelgasse 9, im ersten Bezirk in Wien. Nach einem Betriebswirtschaftsstudium und Jobs in der Fernsehproduktion entschied er sich, in die Maßhemdenschneiderei seines Vaters Gino Venturini einzusteigen. Das Verkaufen ist für ihn bis heute Berufung.