Unternehmen: Ganz schön unanständig
Von Sandra Baierl
KURIER: Ihr neues Buch "Das anständige Unternehmen" kommt, Stichwort VW-Skandal, zur richtigen Zeit. Ein Zufall?
Reinhard K. Sprenger: Es ist tatsächlich reiner Zufall.
Neben VW gab es ja in den vergangenen Jahren auch andere unanständige Unternehmen.
Stimmt, die Deutsche Bank, Siemens, den ADAC und Sie in Österreich haben auch Ihre Skandale. Was man beobachten kann: All die großen Skandale passieren immer in Unternehmen mit großer Staatsnähe. Wenn Staat und Wirtschaft zu verfilzt sind, können sie ihre Aufgaben nicht mehr machen. VW war etwa nicht in der Lage, seine Kosten in den Griff zu bekommen und Produktionsstandorte zu verlegen – zu stark sind die Gewerkschaften, muss an Standorten festgehalten werden. Wenn der Staat wiederum Interessen in einem Unternehmen hat, kann er seinen Job als Regelsetzer nicht wahrnehmen, ist er ein schlechter Kontrolleur, weil er nicht mehr genau hinschaut.
Sind diese Regelbrüche eine Spezialität einer, mit Verlaub, alten Generation, die sich ihre Welt gerichtet hat?
Ich glaube nicht. Es ist weder eine Generationenfrage noch eine Geschlechterfrage. Man muss eher fragen: Was sind das für Institutionen, die so etwas ermöglicht haben?
Was wird am Ende des Skandals bei VW herauskommen?
Es werden die härtesten Compliance-Vorschriften der ganzen Industrie implementiert, es wird ein überbordendes Regelwerk geben. Aber das ist der fundamental falsche Weg. Sie brauchen eine Feedback-Kultur im Unternehmen, in der es möglich ist, etwas angstfrei zu sagen statt nur unter dem Schutz der Anonymität zu antworten. Fragen sind unter Machtbedingungen obszön geworden. Wie schafft ein Unternehmen wie VW einen Neuanfang?
Indem neue, nicht durch die lange VW-Tradition korrumpierte Leute den Konzern führen. Man macht keinen neuen Anfang mit alten Leuten, die ihr ganzes Berufsleben lang in der Firma sozialisiert wurden. Sie sagen, in Zeiten disruptiver Veränderungen reicht das Reparieren nicht mehr. Man müsste sich ersatzlos trennen. Wovon?
Ich habe keine Zielidee. Ich will Raum schaffen, ohne ihn gleich wieder zuzumöblieren. Wenn man in einem Unternehmen etwas wegnimmt, bricht da ja nicht gleich alles zusammen. Bewegung braucht Raum.
Ihr Buch dreht sich um Führung. Mitarbeiter hätten ein Recht auf Würde, Respekt, Vertrauen und auf "anständige" Behandlung. Was sind das für Manager, die das alles missachten?
Ich habe versucht, zu zeigen, dass das Nichtanständige vordergründig menschenfreundlich daherkommt. Wie Feedback oder Mitarbeiterbefragungen zum Beispiel: Sie sind allseits verbreitet, im modernen Management Standard. Dabei ist das hochinvasiv, da werden Grenzen überschritten, Menschen werden peinlich berührt und zur Schau gestellt. Und gleichzeitig erzeugt das riesige Kosten. Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie alles abschaffen, was in den vergangenen Jahren zum modernen Management gehört hat: Zielvorgaben, Führungsseminare, Mitarbeiterbefragungen.
Ich meine, diese Dinge hatten ihre Zeit. Ökonomisch gesehen halte ich sie für nicht mehr berechtigt. Diese Instrumente sind zu bürokratisch, zu langsam, sie bringen keine Resultate. Ob das immer schon moralphilosophisch zu kritisieren war, ist eine andere Frage. Ich sage: Mitarbeiterbefragungen sind eine Würdelosigkeit gegenüber Erwachsenen, sie sind erniedrigend.Ein weiterer Vorschlag ist, feste Arbeitsverträge überhaupt abzuschaffen und durch Zeitverträge zu ersetzen. Was bringt das?
Es gibt in Unternehmen viel Entmündigung, die von den Menschen sogar als positiv beurteilt wird. Ich glaube, es sollte keine Arbeitsplatzgarantie ausgesprochen werden, die es ohnehin nicht gibt. "Living with the end in mind" ist für alle der bessere Ansatz. Eine Eigenschaft von guten Chefs ist, dass sie Menschen mögen. Sie sagen, viele Führungskräfte mögen nicht einmal sich selbst, geschweige denn andere Menschen. Wie sind die zu Chefs geworden?
Viele dieser Menschen gelten als fachlich extrem kompetent, haben ein sehr souveränes Auftreten, sie verströmen eine Follow-me-Aura. Sie werden hinaufgelobt, ihre Führungskompetenz ist irrelevant. Sie kritisieren den Verlust an Distanz zwischen Unternehmen und Belegschaft durch die Aufhebung der Trennungslinie zwischen Beruf und Privat. Aber da spielen doch die Mitarbeiter mit – sie lieben Google und Facebook als Arbeitgeber.
Das kann durchaus sein. Es kann auch sein, dass diese Unternehmen erfolgreich sind. Trotzdem sind das Business-Sekten. Sie sind den Religionsgemeinschaften näher als einem Unternehmen. In ihnen herrscht die Idee der Unternehmens-Familie. Fakt ist aber: Wir haben als Erwachsene einen Kooperationsvertrag mit einem Unternehmen, wo Geben und Nehmen im Gleichgewicht sein sollen. Mehr nicht.Sie sagen, die Institutionen laden dazu ein, die Eigenverantwortung und Initiative beim Pförtner abzugeben. Ist das wirklich im Interesse der Unternehmen?
Unternehmen fordern Unterwerfung und Konformität. Sie wollen nicht, dass man mitdenkt. Gleichzeitig wird die Idee des Mitarbeiters als "Unternehmer" mit Eigeninitiative hochgehalten. Das ist ein Widerspruch in sich. Die Rahmenbedingungen lassen mitdenkende Mitarbeiter nicht zu.Sie sagen, in Firmen gibt es eine Pathologisierung des Mannes. Was meinen Sie damit?
Den Männern werden Verhaltensweisen antrainiert, die man als weiblich bezeichnet: empathisch, gefühlsbetont, herzlich sein. Da ruft man den Männern zu: Sei kein Mann mehr. Weil man glaubt, damit Produktivitätsressourcen heben zu können. Gleichzeitig wird der Frau eine Vermännlichung empfohlen. Am Ende sind alle gleich. Es ist absurd.Warum diese Gleichschaltung?
Dahinter steht die kollektive Idee, wir gehen alle gemeinsam, wir sind alle gleich und werden dadurch alle besser.
Randomhouse, € 27,80
Managementcoach Reinhard K. Sprenger, Jahrgang 1953, Deutscher, promovierter Philosoph, studierter Psychologe, Betriebswirt, Historiker und Sportwissenschafter, Vater von vier Kindern, lebt mit seiner Familie in der Nähe von Zürich und Santa Fe (USA). Er ist einer der relevantesten Vordenker zu Themen rund um Management und Führung im deutschsprachigen Raum. Seine Bücher sind Best- und Longseller, weil sie irritieren und provozieren. Aktuell schrieb er: „Das anständige Unternehmen: Was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt“, erschienen im DVA Verlag, 27,80 Euro.